AB-MITTELRHEIN-PROZESS GEPLATZT
Vorläufiges
Ende einer Justizgroteske
Mit
einem unspektakulären Beschluss endete am ersten Werktag des Wonnemonats Mai ein
spektakuläres Gerichtsverfahren, wenigstens vorerst. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz
hat das sogenannte ABM-Verfahren, bei dem der Tatvorwurf der kriminellen Vereinigung
gemäß § 129 StGB gegen zuletzt 17 von ursprünglich 26 Angeklagten im
Mittelpunkt stand, ausgesetzt. Die wortkarge Begründung lautete:
„Die Hauptverhandlung wird gem. § 228
Abs. 1 Sattz1, 1. Alt. StPO ausgesetzt, da der Vorsitzende Richter nach den
Bestimmungen des rheinland-pfälzischen Richtergesetzes mit Ablauf des
30.06.2017 wegen Erreichens der Altersgrenze zwingend aus dem richterlichen
Dienst ausscheiden muss und auszuschließen ist, dass die Hauptverhandlung bis
zu diesem Zeitpunkt zum Abschluss gebracht werden kann.“
Hinter
den banalen Worten versteckt sich einer der bemerkenswertesten Vorgänge der
jüngeren deutschen Justizgeschichte, ja man könnte fast von einer gigantischen
Justizposse sprechen; eine Groteske war es alle mal. Wir erinnern uns:
Am
12. März 2012 (sic!) wurden mit großer medialer Begleitmusik über 20 meist
junge Männer aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verhaftet, denen man
vorwarf in Bad-Neuenahr-Ahrweiler ein „Neonazizentrum“, das sogenannte Braune Haus,
betrieben zu haben, von wo aus ein nationalsozialistischer Umsturz geplant
worden sei. So ähnlich fand sich dieser Vorwurf hernach in der 926seitigen
Anklageschrift, die über etliche Seiten politisches Kampfvokabular enthielt. An
Wahrheit steckte dahinter, dass sich in den Jahren zuvor einige Aktivsten
zusammengefunden hatten, die sich mit verschiedenen politischen Fehlentwicklungen
wie der Überfremdungspolitik oder mit geschichtlichen Verdrehungen nicht
abfinden wollten, die seit Jahren dazu benutzt werden, das deutsche Volk am
Pranger zu halten. Dazu gehörte das Verschweigen der vorsätzlichen Tötung
deutscher Kriegsgefangener in den Rheinwiesenlagern oder auch die verharmlosenden
Lügen um den Bombenterror beim Angriff auf Dresden im Jahre 1945. Offensichtlich
reicht es im freiesten Staat, den es je auf deutschem Boden gab, in solchen
ideologischen Fragen die Meinung der herrschenden in Frage zu stellen, um ins
Visier der Staatsanwaltschaft zu geraten. Daher richtete sich die Kritik der Verteidigung
von Anfang an gegen die Instrumentalisierung des Strafrechts für politische
Zwecke, nämlich die Ausschaltung systemoppositioneller Personen. Natürlich
konnte die Staatsanwaltschaft zahllose Einzeltaten aufführen, aber sie hielten
sich oft im Bagatellebereich oder hatten kaum etwas damit zu tun, dass eine Gruppe
von Leuten eine kriminelle Vereinigung gegründet hätten. Besonders entlarvend
war der prozessuale Aufwand, der um eine abendliche Demonstration der sog.
Unsterblichen in Düsseldorf im November 2011 betrieben wurde. In etlichen
Verhandlungstagen sollte aufgeklärt werden, wie es dazu kam, dass etwa 100
Leute unter der Parole „Volkstod stoppen“ durch einen biederen Vorort zogen.
Hier wurde offensichtlich, dass nicht kriminelles Unrecht sanktioniert, sondern
Systemopposition kriminalisiert werden sollte.
Am
20. August 2012 begann die Hauptverhandlung vor der Staatsschutzkammer gegen
die seinerzeit 26 Angeklagten. Sie zog sich von Beginn an schleppend in die
Läge, hunderte von Telefonaten wurden abgehört, zahllose Zeugen befragt, und
Immer wieder wurde die ergebnisorientierte Ermittlungsarbeit deutlich. Beispielsweise
hatte eine Polizeikommission eine Straßenschlacht an einem linken Wohnprojekt im
Februar 2011 von vornherein als „Angriff auf…“ eingestuft und andere Arbeitshypothesen
unbeachtet gelassen. Der dahinterstehende Vorwurf des Landfriedensbruches war
der schwerste Anklagepunkt.
Nachdem
im Laufe des Verfahrens neun Angeklagte ausgeschieden waren - gegen vier wurden
kleinere Bewährungsstrafen verhängt, gegen die anderen wurde das Verfahren eingestellt
- kam also nun für die anderen siebzehn das vorläufige Ende. Denn genauso
grotesk wie das Verfahren ist die Konsequenz des nunmehrigen Platzens: Gegen
die Verbliebenen muss von vorn begonnen werden. Ob und wie das allerdings kommt,
steht in den Sternen. Wir blicken nunmehr
zurück auf etwa 340 Verhandlungstage, nicht mitgezählt weitere ca 20, die wegen
Krankheit eines Angeklagten o.ä. nicht als Verhandlung zählten, die sich über
nahezu fünf lange Jahre erstreckten. Damit war der ABM-Prozess wohl der
umfangreichste der bundesdeutschen Justizgeschichte; um ein vielfaches länger
als der Nürnberger Hauptprozesse, auch umfangreicher als der NSU-Prozess und
länger als der Erste Weltkrieg. Anfänglich viel beachtet, versank er zuletzt im
Vergessen. Er bescherte einige Possen, wie zum Beispiel einen Schöffen, der den Staatsanwälten Nikoläuse als Geschenk auf den Tisch stellte und
daher wegen Befangenheit ausschied, einen Antrag in Gedichtform, die Bereitschaft
dreier Verteidiger ihre Mandanten während der Weihnachstage in der U-Haft
abzulösen und eine (inzwischen eingestellte) Anklage gegen einen Verteidiger,
weil er in drastischen Worten auf die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen hingewiesen
hatte – auch das klares Zeichen, was hinter diesem Prozess stand.
Vorläufiges Fazit:
Der
Versuch, das Strafrecht für politische Zwecke zu missbrauchen, ist vorerst
gescheitert. Das verdankt sich der Standhaftigkeit der meisten Angeklagten, die
sich nicht mit billigen Einlassungen an die Staatsmacht verkauften und der Beharrlichkeit
der Verteidigung, die den Fehdehandschuh an jeder Stelle aufnahm, jedenfalls
soweit es sich nicht um handzahme Gerichtsgünstlinge aus dem Koblenzer Kungelkreis
handelte. Verteidigung stellt sich selbst in Frage, wenn sie sich zum politischen
Sprachrohr der Angeklagten erniedrigt, aber sie gibt sich auf, wenn sie achselzuckend
zusieht, wo das Recht instrumentalisiert wird, um politische Opposition zu
bekämpfen. Dann kann es nur hundertprozentige Solidarität geben – um des Rechts
willen. Es hat heute einen Etappensieg errungen. Hoffen wir, dass er ein
endgültiger wird!