Dienstag, 26. November 2019



Fall Lübcke: Spekulationen und Skandale

BGH-Präsidentin strafbar?


Im Ermittlungsverfahren Lübcke wird derzeit eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Spekulationen über angebliche weitere Personen am Tatort werden gestreut, und obwohl noch nicht ansatzweise abzusehen ist, ob und wann Anklage erhoben werden wird, fühlt sich die Politik bemüßigt, durch Untersuchungsausschüsse Dinge aufzuklären, die dem Strafverfahren vorbehalten sind. 

Dabei hat sich bereits ein handfester Justizskandal abgespielt, als am 13. September ein Beschluss vom 22.08.2019 zur Haftbeschwerde eines Nebenbeschuldigten in die offizielle Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofes eingestellt wurde. Der Verteidigung ging der Beschluss erst am 14.09.2019 zu. Er enthält zahlreiche Details aus dem Ermittlungsverfahren, die nicht für Dritte bestimmt sind. Unter anderem wird die ehemalige Lebensgefährtin des genannten Beschuldigten als Zeugin zitiert, die dort Begriffe wie „Denker“ und „Macher“ in die Welt gesetzt hat. Natürlich kursieren diese Schlagworte jetzt in der Sensationspresse. Das ist ein nicht hinnehmbarer Rechtsverstoß, der den Betroffenen öffentlich vorverurteilt, bevor überhaupt entschieden ist, ob es zur Anklage kommt, siehe oben. Deshalb hat die Verteidigung gegen die Veröffentlichung Beschwerde bei der Präsidentin des BGH eingelegt, die ergebnislos verlief. Nun wird bei dem Verwaltungsgericht Karlsruhe auf Entfernung geklagt. Bislang gibt es nur eine Zwischenentscheidung, der gemäß der Verwaltungsrechtsweg zulässig ist. Das war umstritten, und der BGH hat dagegen Beschwerde eingelegt. (3 K 6973/19)
Die Veröffentlichung verstößt aus Sicht der Verteidigung auch gegen die Strafvorschrift des § 353d StGB. Sie untersagt, dass aus amtlichen Schriftstücken wortgetreu in der Öffentlichkeit zitiert wird, bevor das Hauptverfahren eröffnet und die Anklageschrift verlesen ist. Nun ist genau das mit dem Beschluss des BGH zur Haftbeschwerde passiert.

Ob gegen die Präsidentin des BGH deshalb Strafanzeige erstattet wird, wird sich zeigen.

Donnerstag, 24. Oktober 2019

Kein faires Verfahren: Rechtsstaatsdefizite im Fall Lübcke

Verfassungsbeschwerde und Verwaltungsklage gegen den BGH


Der Fall Lübcke ist ein Paradebeispiel für ein politisch instrumentalisiertes Ermittlungsverfahren. Von Anfang ging es Medien und Öffentlichkeit vornehmlich darum, in sensationsheischender Weise die angeblich rechtsextreme Einfärbung der Tat groß herauszustreichen, vermeintliche terroristische Strukturen aufzudecken, NSU-Bezüge zu finden oder zu konstruieren usw. Möglicherweise auch wegen der somit erzeugten Erwartungshaltung sind im bisherigen Ermittlungsverfahren rechtsstaatliche Defizite aufgetreten, die man nur als bedenklich bezeichnen kann.  

Der Tatverdacht gegen den der Beihilfe Beschuldigten H. stand und steht von Anfang an auf schwachen Füßen, so dass er im August Haftbeschwerde einlegte. Um sie besser zu begründen, beantragte der Verteidiger erweiterte Akteneinsicht, die ihm mit der merkwürdigen (sinngemäßen) Begründung verweigert wurde, der Beschuldigte könne sich doch zum Tatvorwurf einlassen. Darin stecken gleich zwei Verstöße gegen das Rechtsstaatsgebot: erstens unterläuft eine solche Entscheidung das Recht des Beschuldigten zu jeder Zeit zu schweigen und gefährdet seine prozessuale Position; denn Einlassungen im Ermittlungsverfahren können in der Hauptverhandlung verlesen werden. Zweitens beschneidet sie die Informationsrechte der Verteidigung, die unerlässliche Voraussetzung sind, um sich gegen den Tatvorwurf angemessen zur Wehr setzen zu können, und zwar in jedem Verfahrensstadium.


Teilnahme an AfD-Kundgebungen als Verdachtsmoment?


Inhaltlich enthalten die Ausführungen in dem Beschluss, der sodann am 22. August 2019 erging und den Beteiligten am 14. September, also mehr als drei Wochen später (!) zugestellt wurde, folgerichtig einige befremdliche Aussagen. So soll sich der Tatverdacht in Gestalt der ohnehin fragwürdigen Rechtsfigur der psychischen Beihilfe jetzt unter anderem dadurch erhärten, dass die Beschuldigten gemeinsam politische Veranstaltungen besucht hätten. Zwar vermeidet der BGH sie wörtlich beim Namen zu nennen, jedoch ergibt sich aus der Stellungsnahme der Bundesanwaltschaft zur Haftbeschwerde, dass es sich dabei vorwiegend um AfD- Kundgebungen o.ä. handelt. Wer zur AfD (oder Pegida) geht, kann sich nach dieser Logik also der Beihilfe zum Mord verdächtig machen. Hierin sieht der Beschuldigte einen Eingriff in sein Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art 8 GG verletzt. Aufgrund dessen und der verweigerten  Akteneinsicht hat er Verfassungsbeschwerde, mit Ziel der Aufhebung des BGH-Beschlusses und neuen Entscheidung seiner Haftbeschwerde, eingelegt. (BVerfG  2 BvR 1822/19)     


Vorverurteilung des Beschuldigten: Veröffentlichung des BGH-Beschlusses im Wortlaut


Doch damit nicht genug: Im Oktober musste der Beschuldigte feststellen, dass der o.g. Verwerfungsbeschluss (BGH StB 21/19) in die offizielle Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofes eingestellt wurde. Dabei werden zahlreiche Details aus dem Ermittlungsverfahren mitgeteilt. Diverse Sachverhalte, aus denen sich der Tatverdacht speisen soll, werden seitdem, unter anderem im Spiegel, öffentlich breitgetreten. Dass eine solche Veröffentlichung geeignet ist, den Beschuldigten im Vorfeld zu verurteilen und ihn dadurch im späteren Prozess zu benachteiligen, liegt auf der Hand. Genau aus diesem Grunde ist sie gemäß § 353 d Ziffer 3 StGB strafbar. H hat den Bundesgerichtshof deshalb beim Verwaltungsgericht Karlsruhe auf Entfernung verklagt. (Az. 3 K 6973/19)

Ungeachtet dessen, wie das Bundesverfassungsgericht bzw. das VG Karlsruhe nun entscheiden mögen: dass unter solchen Umständen im weiteren Fortgang kein faires Verfahren zu erwarten ist, ist zu befürchten.   

Freitag, 20. September 2019

Fall Lübcke: Fragwürdige Haftentscheidung

 BGH-Beschluss mit politischem Unterton

 

Was zu befürchten war, ist eingetreten. Mit Beschluss vom 22. August 2019, der der Verteidigung jedoch erst am 14.09.2019 zugestellt wurde, hat der Bundesgerichtshof die Haftbeschwerde eines Mitbeschuldigten im Lübcke-Fall verworfen. Nahezu gleichzeitig wurde der Vorgang pressebekannt.... Dem Mann wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Zwar folgte der BGH den Argumenten der Verteidigung, nach denen die Vermittlung eines Kontaktes zu einem Waffenhändler vor dem Oktober 2015 keine Förderug einer knapp vier Jahre späteren Tat sein konnte. Jedoch meint das Gericht, dass der Beschuldigte den Hauptverdächtigen durch gemeinschaftliche Schießübungen und die Teilnahme an Demonstrationen in dessen Willen zur Tat bestärkt habe, einer Tat wohlgemerkt, die nie ausdrücklich erwähnt wurde. 

Psychische Beihilfe


Um diesen Verdacht zu stützen, greift der BGH auf die Rechtsonstruktion der sogenannten "psychischen Beihilfe" zurück. Sie wird oft dann bemüht, wenn man gegen einen Beschuldigten nichts in der Hand hat, aber gerne etwas in der Hand hätte. Die Fragwürdigkeit der Entscheidung lässt sich z.B. daran ablesen, dass mehrfach auf die Teilnahme an Demonstrationen abgestellt werden, auf Handlungen also, die dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit unterliegen. Auch der Hinweis auf Fremdenfeindlichkeit als mutmaßliches Mordmotiv als niederer Beweggrund darf nicht fehlen. Das klingt logisch, birgt aber die Gefahr, dass eine juristische Bewertung vom politischen Standpunkt des Gerichts abhängt: was der eine fremdenfeindlich nennt, ist es für den anderen nicht. Den Beschluss durchzieht somit ein zwar ncht übermäßiger aber vernehmbarer politischer Unterton.     

Rechtsstaatsprinzip verletzt?


Befremdlich ist bei all dem, dass der BGH ergänzende Akteneinsicht bezüglich eines Vorganges ablehnte, der über die Glaubhaftigkeit einer Belastungszeugin hätte Aufschluss geben können. Aus Sicht der Verteidigung hat er damit das Rechtsstaatsprinzip verletzt. Eine Verfassungsbeschwerde wird deshalb geprüft. 

Az. BGH StB 21/19

Dienstag, 20. August 2019


Koblenzer Reflexionen

Sieben Jahre Mammutprozess Aktiosbüro Mittelrhein


Am 20. August 2019 jährt sich zum siebten Mal der Beginn des legendären Strafprozesses Aktionsbüro Mittelrhein vor der Staatsschutzkammer am Landgericht Koblenz. Seinerzeit, am 20. August 2012, sagte der damalige Vorsitzende Richter, Hans-Georg Göttgen, dieses Verfahren suche seinesgleichen und werde es nicht finden; ein Satz der sich mehr als einmal bewahrheitet hat. Für meinen Mandanten und mich hat es am Dienstag, den 13. August geendet. Gericht und Staatsanwaltschaft haben sich meinen immer wieder vorgetragenen Argumenten angeschlossen und das Verfahren nach § 153 Strafprozessordnung wegen Geringfügigkeit eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse; im Gegenzug verzichtet er auf eine Entschädigung für 22 Monate Untersuchungshaft. Nachdem die wenigen verbliebenen Tatvorwürfe, die gegebenenfalls noch zu einer Verurteilung hätten führen können, gegenüber der langen Verfahrensdauer und der erlittenen U-Haft außerhalb jeden Verhältnisses gestanden hätten, war das ein sachgerechtes Ergebnis. Nun kann man natürlich fragen, warum es sieben Jahre dauern musste, bis sich diese Einsicht bei Gericht durchsetzte. Es wäre jedoch ein gedanklicher Kurzschluss, zu glauben, dass das ohne jahrelange beharrliche Verteidigertätigkeit früher oder überhaupt zu erreichen gewesen wäre. Das liegt an dem politischen Charakter des Prozesses, wie er aus den Worten des rheinland-pfälzischen Innenministers Lewentz vom 14. März 2012, einen Tag nachdem 25 der ursprünglich 26 Angeklagten festgenommen wurden, spricht:



„Also wir haben das zusammengetragen, und wir wollten ja auch nicht einzelne herausholen, sondern dieses gesamte „Aktionsbüro Mittelrhein“ zerschlagen. Das ist uns gestern gelungen. Und ich glaube, ab und an muss man ein wenig zuwarten, damit man mit Stumpf und Stiel ausrotten kann. Und wir haben da gestern einen harten Schlag geführt.“






Es sollte also zerschlagen und mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Diese Wortwahl würde bei Facebook wahrscheinlich zur Sperrung des Profils führen. Das korrespondiert jedoch mit dem allerersten Dokument aus der inzwischen auf über 16000 Seiten angewachsenen Hauptakte: einer Pressemitteilung der Linksjugend!



Politische Vorwürfe


Die 926seitige Anklageschrift, die jene aus dem NSU-Verfahren um fast 400 Seiten an Zahl übertraf, nahm diesen Faden auf und erhob zahlreiche politische Vorwürfe, die sich dahingehend  zusammenfassen lassen, dass man den mutmaßlichen Mitgliedern des Aktionsbüros Mittelrhein anlastete, in Deutschland eine nationalsozialistische Herrschaftsordnung begründen zu wollen. Unter der Bevölkerung sei darüber eine „große Beunruhigung“ eingetreten, die eine „Mobilisierung der demokratischen Kräfte“ zur Folge gehabt hätte. Das juristische Problem, das hierbei auftrat, besteht darin, dass ein solcher Verfassungsumsturz nur, und zwar als Hochverrat, strafbar ist, wenn er gewalttätig erreicht werden soll. Das politische Ziel der Abschaffung des Grundgesetzes kann zwar ein Vereins- oder Parteienverbot begründen, aber eben keine Straftat.  



Daher musste das Konstrukt einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB bemüht werden, um die Gruppe als solche juristisch zu belangen, ein klarer Fall des Missbrauchs des Strafrechts für politische Zwecke. Hierfür wurden zahlreiche Einzelvorkommnisse aus den Jahren 2009 bis 2011, von Sachbeschädigungen etwa in Gestalt von Sprühaktionen oder beschädigten Fenstern, über kleinere Körperverletzungen bis hin zu behaupteten oder vorgekommenen Landfriedensbrüchen in den Katalog der angeblich organisatorisch geplanten Straftaten aufgenommen. Selbst eine Kundgebung der sog. Unsterblichen im November 2011 in Düsseldorf musste herhalten, um als Verstoß gegen das Vermummungs- bzw. Uniformverbot angeklagt zu werden.   





Der politische Charakter kam in diversen Zeugenaussagen zum Vorschein. Ein professioneller Bekämpfer des Rechtsextremismus konnte seine kruden Thesen, die wenig Bezug zu den Anklagevorwürfen hatten, genau so vortragen, wie der derzeitige Polizeipräsident von Aachen, damals noch Referatsleiter Verfassungsschutz im Innenministerium von NRW, oder eine Dame von einem Remagener Bündnis, das Anstoß an der geschichtlichen Aufarbeitung der Rheinwiesenlager durch Personen im Umfeld des ABM nahm. Diese politische Arbeit, die auch einen jährlichen Trauermarsch in Remagen umfasst, nahm in der Hauptverhandlung breiten Raum ein.



Angesichts dessen blieb nicht aus, dass die Hauptverhandlung, die nach zweimaligem Aussetzen in drei Etappen über bislang 371 Verhandlungstage führte, zahlreiche Besonderheiten aufwies:

Ein Verfahren, das seinesgleichen sucht, aber nicht findet


Mit zunehmender Verfahrensdauer veränderte der Prozess seinen Charakter. Denn, wie in jedem Strafverfahren, drohten den Angeklagten im Falle der Verurteilung die Prozesskosten auferlegt zu werden, von denen schnell erkennbar wurde, wie exorbitant sie sein würden. Anfänglich 52 Pflichtverteidiger, hunderte von Zeugen, die ursprünglich hohe Zahl an eingesetzten Justizwachtmeistern usw. führten schnell in sechs- bis siebenstellige Höhen. Ab einem gewissen Punkt kehrte sich diese Bedrohung von den Angeklagten gegen den Staat, nämlich als die Kosten so gestiegen waren, dass die Angeklagten darüber Privatinsolvenz würden anmelden müssen. Es ist der gleiche Mechanismus wie in dem Kalauer von den Schulden und der Bank: Hast Du 50.000,- Euro Schulden, hast Du ein Problem; hast Du fünf Millionen Euro Schulden, hat Deine Bank ein Problem. Von da an, etwa ab Mitte 2014, konnten die Angeklagten mit der Kostenfolge nicht mehr beeindruckt werden. Als dieser Punkt erreicht war, befand sich auch kein Angeklagter mehr in Untersuchungshaft. Im Übrigen begann die Länge der Verfahrensdauer die Straferwartungen immer weiter zu drücken. Somit verkam der Prozess mehr und mehr zum Selbstzweck, zumal sich abzuzeichnen begann, dass der Vorsitzende Richter aus dem Dienst scheiden würde, bevor er abgeschlossen werden konnte und es keinen Nachfolger mehr gab. Deshalb musste der Prozess im April 2017 zunächst ausgesetzt werden, bevor er wegen überlanger Dauer eingestellt wurde Da die Staatsanwaltschaft gegen diesen sinnvollen Abschluss erfolgreiche Beschwerde zum OLG einlegte, musste er ab Oktober 2018 komplett neu aufgerollt werden.



Für die Verteidiger bedeutete die nie dagewesene Konstellation eine massive Umstellung des Kanzleialltags. Bei drei Verhandlungstagen in der Woche dreht sich praktisch alles um diesen einen Prozess: er muss nicht nur regelmäßig juristisch, sondern auch logistisch vorbereitet werden, von der Anfahrt bis zur Bereitstellung der Bekleidung. Die Abwesenheit in der Kanzlei über weite Teile der Woche führt zu Schwierigkeiten bei der Bearbeitung anderer Fälle und zu Mandatsverlusten. Außerdem müssen fast in jedem anderen Verfahren Termine jongliert werden. Dem steht positiv eine ungewöhnliche kollegiale Zusammenarbeit gegenüber. Denn die meisten Angeklagten waren ja dem gleichen Ziel verbunden, nicht als kriminelle Vereinigung gelten zu wollen. Der Strafverteidiger ist heute noch weitgehend Einzelkämpfer, zumal ihm die Strafprozessordnung untersagt, in einem Verfahren mehr als einen Angeklagten zu verteidigen. Deshalb beschränkt sich in einem „normalen“ Prozess die Zusammenarbeit meistens auf Abgleichung der Rechtsansichten o.ä. Hier, in Koblenz wurden stattdessen Anträge gemeinsam erörtert und ausgearbeitet, Strategien abgesprochen, Rechtsfragen ausgelotet. Zahlreiche Stunden verbrachte man in fachlichen Diskussionen. Außerdem fährt bzw. fuhr man auch nicht unbezahlt nach Koblenz…



Schließlich kommen in einem solchen Umfangsverfahren auch ganz andere prozessuale Mittel für die Verteidigung in Betracht, wie Befangenheitsanträge, Aussetzungsanträge, Beanstandungen von verfahrensleitenden Verfügungen des Vorsitzenden usw. Auch insoweit brauchten die Verteidiger auf den Kostenfaktor keine Rücksicht zu nehmen. Denn wenn ein Befangenheitsantrag normalerweise dazu führt, dass die Zahl der Verhandlungstage von einem auf zwei steigt, hat das ein erheblich größeres Gewicht, als wenn sie von 301 auf 302 steigt (s.o.) Das heißt aber nicht, dass die Anwälte für die Länge des Verfahrens verantwortlich waren. Wer auf 926 Seiten zusammenschreibt, was er den Angeklagten politisch vorwirft, darf sich nicht wundern, wenn die Gegenwehr entsprechend ausfällt, und einen kurzen Prozess fordert nur, wer die Rechte der Beschuldigten missachtet. In einem Umfangsverfahren, und nur darin, bildet sich übrigens der Verteidiger erst zum Könner; keiner der nichts gelernt hätte.



Fast zwangsläufig traten im Laufe der Zeit einige anekdotische Einzelvorfälle ein:



-      Ein Schöffe schied wegen Befangenheit aus, nachdem er Richtern und Staatsanwälten, nicht aber den Verteidigern, jeweils einen Schokoladennikolaus geschenkt und aufs Pult gestellt hatte.



-       Ein Verteidiger präsentierte einen Antrag in Gedichtform.



-   - Ein Verteidiger stieg auf den Tisch, weil er angeblich von seiner Position nichts sehen konnte.



-       Zwei Verteidiger boten dem Gericht Weihnachten 2013 an, für drei Tage ihren Mandanten in der Untersuchungshaft zu vertreten.



-    Der Saal musste einmal wegen eines Buttersäureanschlags und einmal wegen eines Feuerwehreinsatzes in anderem Zusammenhang geräumt werden.



-       An der Zimmertür des ursprünglichen Vorsitzenden fand sich unter mysteriösen Umständen ein Aufkleber mit einem Burschenschafter im Verbotsschild….





Zwei Mal wurde das Verfahren eingestellt (das zweite Mal wegen möglicher Fehler bei der Gerichtsbesetzung), zwei Mal komplett von vorne begonnen. Von ursprünglich 26 Angeklagten waren zum Schluss noch neun im Verfahren; einige wurden zuvor verurteilt, gegen einige wurde es gleichfalls eingestellt, es gab einen Freispruch. Eine weitere Einstellung folgte am 14. August, eine Abtrennung steht bevor.



Am Jahrestag des Mauerbaus endete es für meine Mandanten und mich mit einem hervorragenden Ergebnis. Die Staatsanwaltschaft wollte dem jetzigen Familienvater für die politische Arbeit seiner Jugend das Etikett der Strafbarkeit anhängen. Das ist ihr nicht gelungen. Er geht, ohne verurteilt zu sein, und ohne Kostenlast aus dem Gerichtssaal 128 des Koblenzer Landgerichts und hat wieder eine Lebensperspektive. Dass man in einer solchen außergewöhnlichen Situation auch zu ihm nicht ein ausschließlich professionelles Verhältnis findet, dürfte nachvollziehbar sein, genauso wie ein wenig Wehmut, dass die wichtigste, schwierigste und vielleicht beste Leistung des Lebens nun der Vergangenheit angehört. Aber wenn ein Sieg am Ende steht, dann kann und soll man aufhören.



Wünschen wir den verbliebenen sechs das Beste.



LG Koblenz 2090 Js 29752/10.12 Kls

Freitag, 9. August 2019

IB-Klage gegen Polizeiwillkür

Staat und Antifa Hand in Hand



Die identitäre Bewegung Deutschlands, IB, hat vor dem Verwaltungsgericht Halle Klage gegen die Polizeiwillkür vom 20. Juli 2019 eingereicht. Damit will sie feststellen lassen, dass der Einsatz, oder besser gesagt Nicht-Einsatz der Polizei anlässlich einer angemeldeten Demonstration von diesem Tag rechtswidrig war. Ohne erkennbaren, und vor allem ohne juristischen Grund, hatte sich die Polizei geweigert, dieser Kundgebung das Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG durchzusetzen. Kein Fingerzeig wurde gerührt, um die Blockaden linksextremer Gegendemonstranten aufzulösen. Somit blieben die angereisten Mitglieder und Sympathisanten stundenlang auf einem kleinen Bereich vor dem Haus Kontrakultur eingekesselt. Außerdem hatte die Polizei zahlreichen Personen die Anreise verwehrt. Hierin zeigte sich ein weiteres Beispiel, dass Staat und Antifa, jedenfalls im Ergebnis, die Zusammenarbeit nicht scheuen, wenn es gilt, die politische Opposition niederzuhalten.   





Dieses Vorgehen reiht sich in den staatlichen Kampf gegen die IB ein, der jüngst verschärft wurde, als der Verfassungsschutz sie als angeblich rechtsextremes Beobachtungsobjekt eingestuft hat. Grundlage dafür soll unter anderem sein, dass die IB einen ethnisch basierten Kulturbegriff pflege und von "Überfremdung rede", also die Tatsachen, so wie sie sich täglich zeigen, beim Namen nennen. Dem falschen Verfassungsverständnis des Inlandsgeheimdienstes liegt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem NPD-Verbotsverfahren vom Januar 2017 zugrunde, nach dem es, verkürzt gefasst, außerhalb des Begriffes "Mensch" kein juristisches Subjekt geben soll, schon gar kein ethnisch verfasstes. Eine auf homogenen Kollektiven aufgebaute Kultur ist danach verfassungswidrig, das deutsche Volk, wie wir es als historisch geformte Größe kennen, ein Rechtsverstoß. Es bleibt abzuwarten, ob wenigstens noch allenMenschen die Rechte aus eben dieser Verfassung zugestanden werden, oder ob diejenigen, die falsch denken, aus dem Grundrechtekanon dauerhaft ausgeschlossen werden, so wie es ja einige Politiker nach dem Lübcke-Attentat bereits gefordert haben.         


Freitag, 2. August 2019

Haftbeschwerde im Fall Lübcke


Politische Instrumentalisierung unterläuft Unschuldsvermutung und gefährdet den Rechtsstaat








Ein Mitbeschuldigter im Fall Lübcke, dem die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord vorwirft, hat im Juli 2019 Haftbeschwerde eingelegt.  Die ihm zur Last gelegten Handlungen tragen nach Ansicht der Verteidigung keinen Tatverdacht. Sowohl im Haftbefehl als auch in der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft zur Beschwerde wird wesentlich auf die politische Einordnung des Beschuldigten abgestellt, der natürlich zum rechten Umfeld gehören soll.  Das bewegt sich auf der Ebene der öffentlichen Stimmungsmache seit der Tat. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: wir haben es im Fall Lübcke offensichtlich mit einem Verbrechen zu tun, das aufgeklärt und geahndet werden muss. Leider zeichnet sich aber ab, dass es von bestimmten politischen Kreisen instrumentalisiert wird, um mit unlauteren Mitteln eine bestimmte oppositionelle Gruppe, ja sogar ganze Denkweisen unter Generalverdacht zu stellen. Es wurden ja bereits aus nicht berufenem Mund Rufe nach Abschaffung der Grundrechte für national denkende Mitbürger laut. Diese Logik gilt natürlich nur, wenn es gegen rechts geht. Wenn man ihr schon folgt, sollte sie jedoch zuerst bei den hunderten Einzelfällen von Vergewaltigung, Messerstechereien, Vor-den-Zugwürfen, Schwimmbadbesetzungen usw. angewendet und gefragt werden, ob der kulturelle Hintergrund der Täter ursächlich sein könnte. Abgesehen davon sollte gefragt werden, welche politische Verantwortungslosigkeit die Schuld daran trägt.

In dem Ermittlungsverfahren bleibt abzuwarten, ob und zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof dem öffentlichen Druck widersteht und den Mut aufbringt, einzig und allein nach den gesetzlichen Maßstäben des Strafrechts zu entscheiden, damit nicht ein Unschuldiger auf dem Altar der Macht geopfert wird und dabei auch noch die Maske des Rechts geführt wird. in diesem Fall wären nicht nur das Unschuldsprinzip ausgehebelt, sondern auch der Rechtsstaat als solcher schwer beschädigt.     



Sonntag, 21. Juli 2019

Aufzug verhindert

Polizei und Antifa blockieren Identitäre in Halle


Am 20. Juli 2019 hat die Polizei in Halle die Durchführung eines angemeldeten Aufzuges der Identitären Bewegung durch Halle verhindert. Rechtsgründe dafür sind nicht ersichtlich. Die ausdrückliche Nachfrage, ob die Behörde die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstandes als gegeben ansähe, wurde verneint. Der polizeiliche Notstand ist eine Sachlage, bei der die Kräfte der Polizei zu schwach sind, um Störer darin zu hindern, die Versammlung bzw. den Aufzug zu blockieren oder anzugreifen. Er ist ein absoluter Ausnahmefall, der in der Praxis nicht vorkommt, denn er wäre ja gleichbedeutend mit dem Eingeständnis der Polizei, dass sie außerstande wäre, ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Die Hürden, die das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich gezogen hat, sind entsprechend hoch. In Halle war das Gegenteil der Fall. Aus dem ganzen Bundesgebiet waren Einsatzkräfte angerückt, angeblich, um die Versammlung der Identitären zu schützen. Am Nachmittag hatte sich dann die Situation am Bahnhof, wo man Probleme erwartet hatte, soweit entspannt, dass die Kräfte von dort abgezogen werden konnten. Dass es der Polizei nicht möglich gewesen sein soll, den Aufzug zu schützen, ist also auszuschließen.

Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Polizei nicht willens war, ihre gesetzlichen Pflichten gegenüber den Identitären auf Durchsetzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG zu erfüllen. 

Im Zusammenwirken mit der Antifa ist jedenfalls das wahrscheinlich politisch gewünschte Ergebnis erzielt worden, und die Identitären wurden stundenlang im Vorfeld ihres Hauses Flamberg in Halle blockiert. Dort konnte dann zwar das angesetzte Straßenfest stattfinden, aber die Polizei hinderte wiederum etliche Interessenten zeitweise oder vollständig daran, hierzu durchzudringen. Sie sprach sogar zahlreiche Platzverweise aus, für die es nach Einschätzung des Versammlungsanmelders ebenfalls keinen Rechtsgrund gab. Nach dessen Auffassung handelte es sich daher in dem gesamten Vorgehen der Behörde an diesem Tag um Polizeiwillkür.

Die Identitären planen, Fortsetzungsfeststellungsklage gegen das rechtsstaatswidrige Verhalten der Polizei einzulegen. 

Dienstag, 9. Juli 2019

Lübcke-Zuschlag? 100 Tagessätze für historischen Gruß


Vor dem Amtsgericht Dortmund wurde am 28. Juni 2019 ein denkwürdiges Urteil gesprochen. Es hatte aber wohl weniger mit dem 105. Jahrestag der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz-Ferdinand in Sarajewo zu tun.Viel mehr könnte sich die mediale Stimmungmache, die im Gefolge des gewaltsamen Todes des Kasseler Regierungspräsidenten Wolfgang Lübcke ausgebrochen ist, in der Urteilshöhe niedergeschlagen haben.

Verhandelt wurde eine eher harmlose Kneipenschlägerei vom Dezember 2016 (!). Sie hatte sich entwickelt, nachdem aus einer lockeren Knobelrunde zunächst eine politische Debatte und dann ein Streit entstanden war. Ein Übermaß an Alkohol trug das Seinige zur Eskalation bei. Ein Geschehen, wie es sich jedes Wochenende hundertfach, ja vielleicht tausendfach in deutschen Bierhallen oder Gaststätten abspielen dürfte. Weil dabei einer der Beteiligten, ein bekannter Aktivist des Dortmunder Nationalen Widerstandes, versuchte hatte, ein Bierglas einzusetzen, galt seine Handlung als gefährliche Körperverletzung, zu der sich Beleidigung und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen in Gestalt eines Grußes aus den dreißiger bzw. 40er Jahren (§ 86a StGB), die aus der Hitze des Gefechts entstanden waren, gesellten. Er wurde mit vierzehn Monaten Freiheitsstrafe mit einem Strafmaß bedacht, das man schon überzogen nennen muss.

In weitaus höherem Maße gilt das jedoch für die Sanktion, die einem nur am Rande beteiligten Mitangeklagten auferlegt wurde. Ihm wurde die Körperverletzung nicht vorgeworfen, und eine Widerstandshandlung gegen Polizeibeamte konnte nicht bewiesen werden. Somit blieb nur die Verwendung des Kennzeichens übrig. Ausschließlich dafür verpasste ihm das Gericht 100 (hundert!) Tagessätze Geldstrafe. Dabei sprach es das Doppelte dessen aus, was die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Allein das spricht für sich. Wenn man zusätzlich noch die Umstände und vor allem die Tatsache, dass der Angeklagte nicht vorbestraft war, bedenkt, kann man ermessen, dass hier ein politisches Signal gesetzt werden sollte, wieder einmal. Die Forderung nach Verwirkung der Grundrechte für politisch falsch Denkende, die in den letzten Wochen laut wurde, scheint erste Früchte zu tragen....   

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (AG Dortmund 738 Ds 600 Js 755/16-475/17)
 

Donnerstag, 16. Mai 2019

SIEG GEGEN DAS ZDF

"Multikulti tötet nicht strafbar"


Der gebührenfinanzierte Fernsehsender ZDF muss nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 15.05.2019 einen Fernsehspot der Partei "Der Dritte Weg" zur Europawahl ausstrahlen. (2 B 10755/19.OVG)

Das Gericht stellte fest, dass die vom ZDF vorgenommene Interpretation des Spots, indem unter anderem gesagt wird, Europa werde überrannt, und in dem ein Banner mit dem Schriftzug "Multikulti tötet" zu sehen ist, nicht zwingend ist. Der Sender hatte vorgetragen, dass mit den genannten Sequenzen allen hier lebenden Ausländern pauschal Terrorverdacht unterstellt würde. Das war allerdings eher ein Produkt der Phantasie der Zensoren als eine tragfähige Auslegung. Denn das Wort "Terror" kommt im ganzen Film nicht vor.
    
Man muss das Verhalten des ZDF vielmehr in die Zensurkampagne, die derzeit aller Orten läuft, einordnen, bei der auch andere Parteien zahlreiche Gerichtsverfahren führen mussten, gleich ob sie Hörfunk- oder Fernsehwerbung betrafen. In einem Fall musste sogar das Bundesverfassungsgericht (erfolgreich) bemüht werden, um das Recht auf freie Meinungsäußerung durchzusetzen.

Die wahrscheinlichen Gründe für die vielfache Ablehnung der Spots dürfte denn auch nicht die Angst um das Recht, sondern die Angst vor der Wahrheit sein.  

Freitag, 10. Mai 2019

Dritter Weg scheitert mit Eilantrag


Die Partei "Der Dritte Weg" ist am heutigen 10.05.2019  vor dem Verwaltungsgericht Mainz mit einem Eilantrag gegen das Zweite Deutsche Fernsehen, ZDF, gerichtet auf die Ausstrahlung eines Fernsehspots zur Europawahl gescheitert (Az.: 4 L 504/19). Das Verfahren ähnelte dem kürzlich entschiedenen der NPD, der das ZDF ebenfalls die Ausstrahlung eines Werbefilms verweigert hatte  ("Migration tötet"). 


ZDF ignoriert das Gesetz


Auch im Falle des Dritten Wegs bemühte das ZDF eine angeblich offenkundige Strafbarkeit, weil die in Deutschland lebenden Ausländer kollektiv als Terrorverantwortliche gebrandmarkt würden. Interessanter und befremdlicher Weise fehlte in dem Ablehnungsbescheid jede inhaltliche und rechtliche Auseinandersetzung mit dem Werbefilm. Stattdessen findet sich nur eine belanglose Floskel. Deshalb war er gemäß § 39 Verwaltungsverfahrensgesetz formal rechtswidrig. Denn ein Bescheid ist nur wirksam mit einer Begründung.  Dem ZDF war sein eigenes rechtswidriges Vorgehen wohl auch bewusst, denn als es vom Prozessbevollmächtigten des Dritten Weges im Widerspruch auf diesen Mangel hingewiesen wurde, schickte es, heute (!) eine "ergänzende" Begründung, in der erstmalig die gesamten Erwägungen für seine Entscheidung auftauchten. Wie sich zudem anlässlich des Gerichtsverfahrens herausstellte, hatte der Sender aber schon am 07.05.2019 eine umfangreiche Abwehrschrift zum Gericht eingereicht. 

Man muss den Vorgang zusammenfassend wiederholen, um seinen Gehalt zu erfassen: das ZDF lehnt einen Werbespot ab, gibt dazu aber keine den formalen Erfordernissen genügende Begründung. Es handelt dabei im Bewusstsein der Unzulänglichkeit, denn es holt die Begründung hektisch nach, als das gerichtliche Verfahren beginnt. Zu dem Zeitpunkt hatte es gegenüber dem Gericht schon ausführlich Stellung genommen. 

Man kann diesen Vorgang durchaus so interpretieren, dass die gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Sendeanstalt das Gesetz (vorsätzlich?) ignoriert hat, denn jeder Bürger hat bei einem ablehnenden Verwaltungsakt einen Rechtsanspruch auf eine Begründung. Kommentar überflüssig.

Der Dritte Weg wird Beschwerde einlegen.


Dienstag, 16. April 2019

Kein Hitler-Gruß

oder: Polizisten irren nicht


Im Oktober 2018 versammelte sich die Partei "Die Rechte " in Dortmund, um eine Kundgebung gegen Polizeiwillkür abzuhalten. Unvermittelt wurde kurz vor Beginn der Versammlung ein Teilnehmer von der Polizei herausgegriffen, weil er angeblich einen Hitler-Gruß gezeigt hätte. Der nachmalige Beschuldigte einer Tat nach § 86a des Strafgesetzbuches, Verwenden eines Kennzeichens einer ehemaligen NS-Organisation, bestritt den Vorwurf. Trotzdem wurde ein Strafbefehl gegen ihn erlassen.

Am 16.04.2019 kam es darüber zur Hauptverhandlung am Amtsgericht Dortmund. Einziger Belastungszeuge war ein Polizeibeamter, der den Angeklagten nicht wieder erkannte. Er habe seinerzeit zwar eine Person mit der entsprechenden Armbewegung gesehen, diese aber nicht selbst angesprochen. Stattdessen habe er seine Vorgesetzten informiert, der wiederum andere Kollegen beauftragt habe, den Täter zu ergreifen. Der Zeuge hatte aber auch nicht definitiv gesehen, ob der dann Beschuldigte die gleiche Person war, die er vorher gesehen hatte. 

Nach diesen wenig ergiebigen Angaben brauchten die Entlastungszeugen nicht gehört zu werden; der Angeklagte wurde freigesprochen. So weit so gut. Dennoch konnte es sich die Staatsanwältin nicht nehmen lassen "keinen Zweifel" daran zu haben, dass der Polizist die Wahrheit sage und sich der Vorgang so abgespielt habe, wie er ihn geschildert habe. Nur sei eben der Täter nicht eindeutig zu identifizieren. Auch der Vorsitzende Richter äußerte bei der Urteilsbegründung, dass er das Geschehen, wie es angeklagt war, für wahrscheinlich hielt - nur [leider?] nicht für beweisbar. Schließlich sagte er sinngemäß, ein einziger Polizist, der eine präzise Wiedererkennung hätte präsentieren können, hätte ihm zur Verurteilung genügt, schließlich seien Polizeibeamte Berufszeugen. Das drängte dann dem Verteidiger die Frage auf, ob denn er, der Richter, generell Polizisten einen Glaubwürdigkeitsvorsprung einräume. "Nein, natürlich nicht, das würde ich nie tun."        

Ok, wir glauben es ihm einfach mal; und Polizisten irren oder gar lügen ohnehin nie vor Gericht ;-)

 Az.: 729 Cs 600 Js 85/19-72/19 

Dienstag, 12. März 2019

Die Maske ist gefallen

Richter verbietet Verteidiger das Wort - Dokumentation einer nicht gehaltenen Stellungnahme 

Früh ist die Maske des fairen Verfahrens gefallen. Bereits am dritten Verhandlungstag (12.03.2019)  des zum dritten Mal begonnenen Großstrafverfahrens Aktionsbüro Mittelrhein am Landgericht Koblenz hat der Vorsitzende Richter Reiner Rühmann, Parteimitglied der SPD, gezeigt, wie er diesen politischen Prozess zu leiten gedenkt: Ohne jeden tragfähigen rechtlichen Ansatz unterbrach er einen Verteidiger bei seiner Eingangserklärung nach § 243 Absatz 5 der Strafprozessordnung, die ihm die Möglichkeit geben soll, die Anklage aus Sicht der Verteidigung zu bewerten, genau an dem Punkt, als der zu erläutern begann, worin er den politischen Charakter des Verfahrens zu erblicken meint. Das passte dem Vorsitzenden nicht ins Konzept, und so entzog er dem Verteidiger das Wort. Das wurde von den meisten Beteiligten als Willkür empfunden. Die prozessualen Mittel dagegen wurden erhoben, bzw. werden erhoben werden.

Nachfolgend dokumentieren wir die nicht gehaltene Stellungnahme im Wortlaut (Personen anonymisiert): 


2090 Js 29752/10.12 Kls



In dem Strafverfahren


            gegen ..., hier: X
            wegen: Vorwurfes der Bildung einer kriminellen Vereinigung


erkläre ich gemäß § 243 Absatz 5 StPO für meinen Mandanten folgendes:

Das nunmehr fortzusetzende Verfahren gegen noch 13 Angeklagte, die unter dem Schlagwort „Aktionsbüro Mittelrhein“ als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB angeklagt sind, begann im ersten Durchgang mit der Hauptverhandlung am 20. August 2012 und wurde über 337 Verhandlungstage ergebnislos fortgesetzt.  Nicht eingerechnet sind hierbei die mindestens zwanzig weiteren Verhandlungstage, die kurzfristig abgesetzt wurden, zu denen aber schon fast alle Beteiligten angereist waren. An jenem 20. August 2012, dem Eröffnungstag sagte der seinerzeitige Vorsitzende der 12. Strafkammer, Hans-Georg Göttgen:

            „Dieses Verfahren sucht seinesgleichen und wird es nicht finden.“

Wahr gesprochen, sagen wir heute, sechs Jahre und acht Monate später, da wir die Hauptverhandlung erneut eröffnen, also komplett von vorne anfangen!

Man muss fragen, und viele im Land fragen sich, welcher Grund besteht, um noch einmal alles aufzurollen. Ist es die Schwere der Taten und die darin zum Ausdruck kommende Schuld der Angeklagten, die einen hohen Strafausspruch erwarten lässt, der es rechtfertigt auch noch nach Jahren ein Geschehen aufzuarbeiten, welches im zeitlichen Ablauf immer mehr verblasst? Sind es Morde, Bankraube, Bombenanschläge, Schießereien, Brandanschläge, über die das Gericht befinden wird? Nein, sie sind es nicht. Sind es sexuelle Nötigungen, Vergewaltigungen, bandenmäßig begangene Zwangsprostitution usw.? Nein, sie sind es nicht. Sind es massive Grenzverletzungen, Schleuserkriminalität, die unser Land mit Flüchtlingen oder solchen, die es nur vorgeben zu sein, überschwemmt und tausende von Schläfern und sonstigen Risikopersonen ins Land führen? Nein, sie sind es nicht. Vielmehr sind es Sachbeschädigungen, überklebte Straßenschilder, Schmierereien, einzelne Körperverletzungen und eine größere Straßenschlacht am 19.02.2011 in Dresden, die hier unter dem Dach des § 125a StGB als schwerer Landfriedensbruch angeklagt wird, von dem aber bezeichnenderweise die Anklageschrift selbst einräumte, dass sie nicht von einem der Angeklagten eröffnet wurde, sondern von den Bewohnern eines linken Wohnprojekts, wenn sie auf S. 50/51 ausführt:

Daraufhin wurde aus dem Haus Columbusstraße 9 eine Rakete geworfen oder abgeschossen. Nunmehr kam es sodann aus der Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt aus etwa 150 Personen bestand, zu gewalttätigen Aktionen gegen die Häuser Wernerstraße 9 und 11 und Columbusstraße 9 sowie seine Bewohner.“ [H.d.V.]


Dieser Vorwurf (Fallakte 11) betrifft auch den Angeklagten X, der zu den sieben Hauptangeklagten gehört, die vom März 2012 bis Januar 2014 über 22 Monate in Untersuchungshaft verbrachten; genau genommen 666 Tage. Diese lange Haftdauer, zu der die überlange Verfahrensdauer, die erhebliche Einschränkungen im Privat- und Berufsleben des Angeklagten hervorriefen, hinzukommt, steht zu der möglicherweise zu erwartenden Strafe außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses. Die einzig angemessene Behandlung jedenfalls dieses, vom Unterzeichner verteidigten, Angeklagten und der ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe wäre eine Einstellung nach § 153 oder § 153a StPO gewesen, zumal die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 28.05.2018 mitteilte, das Verfahren gegen ihn abtrennen und auf den Tatvorwurf des soeben benannten  Verfahrens der Fallakte 11 sowie zwei weitere Kleindelikte beschränken zu wollen. Genau das, also die Einstellung nach § 153 StPO, beantragte er unter dem 27.08.2018. Dieser Antrag blieb zunächst unbeantwortet, so dass der Unterzeichner mit Schreiben vom 24.09.2018 nach dessen Schicksal fragen musste. Mit Schreiben vom 10.10.2018, zugegangen am 12.10.2018, teilte das Gericht dann zwar mit, dass die Staatsanwaltschaft dem Antrag nicht zustimme, unterließ es aber, deren Schreiben vom 26.09.2018, in dem die Ablehnung ausgesprochen worden war, dem Unterzeichner zuzuleiten, so dass er am 19.10.2018 zu einer weiteren Nachfrage gezwungen war. Erst darauf hin geruhte das Gericht, mit Telefax vom 10.10.2018 die Mitteilung der Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Sie bestand im übrigen aus dem vollmundigen Satz, dass dem Antrag nicht zugestimmt werde. Diese Vorgehensweise wirft ein bezeichnendes Licht darauf, was das Gericht unter einem fairen Verfahren versteht. 

Das alles legt die Vermutung nahe, dass es vorliegend nicht um strafprozessuale Zwecke gehen könnte, denn in nahezu jedem anderen Verfahren wäre einem solchen Antrag zugestimmt worden. Das gilt umso mehr, als keiner der anerkannten Strafzwecke (vgl. dazu Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I 3. Aufl., 1997, § 3) mehr erreichbar ist, wenn in ein oder zwei Jahren Bagatellestrafen ausgesprochen werden sollten. Nimmt man nur einmal die Spezialprävention in Gestalt der Resozialisierung, so muss man feststellen, dass dieser Mammutprozess das genaue Gegenteil bewirkt, wenn er die Angeklagten über Jahre mehrere Tage in der Woche in den Gerichtssaal zwingt. Hiermit wird sowohl ein geregeltes Arbeitsleben als auch ein Familienleben unmöglich gemacht.

Worum es tatsächlich geht, wurde denn auch von einigen politischen Akteuren mit bemerkenswerter Klarheit ausgesprochen.

Der seinerzeitige Landtagsabgeordnete Axel Wilke sagte in der 46. Sitzung des Rechtsauschusses des Landtags von Rheinland-Pfalz in der 16. Wahlperiode zur Vorlage 16/5449 am 21.07.2015, wenn der Prozess in irgendeiner Form platze, wäre das fatal. Ferner wird er wie folgt wörtlich wiedergegeben:

„... es wäre für die Gesellschaft dieses Landes und für die politische Kultur äußerst wichtig, wenn dieses Verfahren zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden könnte. Dies wäre der dringende Wunsch der CDU.“ [H.d.V.]


Noch deutlicher wurde der seinerzeitige Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz in einem Interview mit dem SWR am 14. März 2012, einen Tag nach der Verhaftung der Angeklagten:

„Also wir haben das zusammengetragen, und wir wollten ja auch nicht einzelne herausholen, sondern dieses gesamte „Aktionsbüro Mittelrhein“ zerschlagen. Das ist uns gestern gelungen. Und ich glaube, ab und an muss man ein wenig zuwarten, damit man mit Stumpf und Stiel ausrotten kann. Und wir haben da gestern einen harten Schlag geführt.“


Man beachte die Wortwahl „Stumpf“, „Stiel“ und „ausrotten“.

Dazu passt, dass Auslöser des Verfahrens eine Pressemeldung der Linksjugend vom 15.01.2009 war, die die Überschrift „rechtsradikale Aktivitäten im Ahrkeis nehmen zu“ trägt (Blatt 2 der Sachakte). Ziel des Verfahrens scheint demnach weniger die sachgerechte strafprozessuale Aufarbeitung begangenen Unrechts zu sein, als den politischen Kampf gegen rechts juristisch zu bemänteln, wer auch immer dafür verantwortlich ist. Das aber ist ein Missbrauch des Rechts zu politischen Zwecken, wie er in der wissenschaftlichen Literatur zahlreich festgestellt und kritisiert wird. (Vgl. nur Otto Kirchheimer, Politische Justiz, Verwendung juristischer Verfahrensmöglichketen zu politischen Zwecken, Neuwied, 1965.)


Der politische Charakter des Verfahrens folgt auch aus zwei grundlegenden rechtlichen Überlegungen.





Erstens:

Die zentrale Vorschrift des Verfahrens, die es erst zu einem solchen Umfangs- und Gruppenverfahren erhebt, ist der § 129 StGB, Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dass sich mehrere Personen zur Begehung einer Straftat zusammentun, ist indes kein Spezifikum des § 129 StGB. Vielmehr findet man solches an vielen Stellen des Strafgesetzbuches, beispielsweise in:

-       § 244 Absatz 1, Ziffer 2 StGB: bandenmäßige Begehung von Raub oder Diebstahl
-       § 260a Absatz 1 StGB: bandenmäßige Hehlerei
-       § 263 Absatz 3, Ziffer 1 StGB: bandenmäßige Begehung von Betrug
-       § 232 Absatz 3, Ziffer 3 StGB: bandenmäßiger Menschenhandel
-       § 232a Absatz 4 i.V.m. § 232 Absatz 3, Ziffer 3 StGB: bandenmäßige Zwangsprostitution
-       § 284 Absatz 3, Ziffer 2 StGB: bandenmäßiges unerlaubtes Betreiben von   Glücksspiel
-       30a Absatz 1 BtMG: bandenmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln
-       § 373 Absatz 2, Ziffer 3, AO: bandenmäßiger Schmuggel oder Bannbruch
-       § 96 Absatz 2, Ziffer 2 AuslG: bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern

Das letzte Beispiel lässt besonders aufhorchen.

Das Gesetz hält also die verschiedensten Spezialvorschriften bereit, um alle erdenklichen Formen von Bandenkriminalität zu bekämpfen, bei denen tatsächlich Rechtsgüter, wie Eigentum, Freiheit (auch Freiheit von Sucht), Gesundheit, Vermögen usw. auf dem Spiel stehen. Deshalb bleibt bereits nach dem Grundsatz des lex specialis für den § 129 StGB kaum ein Anwendungsbereich, zumal die Rechtsprechung den in den vorgenannten Vorschriften auftauchenden Bandenbegriff anders definiert als die Vereinigung in § 129 StGB. Aber jedenfalls ist es von anderen Gesetzen erschöpfend erfasst, wenn sich mehrere Personen zusammenschließen, um strafbare Handlungen, bei denen es um etwas geht, zu begehen. Eine Bestrafung nach § 129 StGB scheidet also gerade in den Fällen wirklicher Straftaten aus.

Daher ist im Schrifttum anerkannt, dass § 129 StGB trotz seiner allgemeinen Fassung letztlich auf die Kontrolle politischer (Geheim-) Bünde zielt, die ähnliche Strukturen aufweisen, wie ein Verein im Sinne des öffentlichen und des Privatrechts (Dessecker, Zur Konkretisierung des Bandenbegriffs im Strafrecht, NStZ 2009, 184, 188 m.w.H und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei Fischer StGB, § 129 , Rn. 4). Der Historiker Josef Grässle-Münscher, Kriminelle Vereinigung – von den Burschenschaften bis zur RAF, Münster und Hamburg, 1991, kommt zu dem Ergebnis:

„Die Bestimmung des § 129 StGB zeigt bis in die jüngste Vergangenheit eine rein politische Anwendungspraxis.“ (S. 167)

Zu all dem kommt das rechtsdogmatische Problem, dass die Vorschrift des § 129 StGB die Strafbarkeit in das Vorfeld einer eigentlichen Straft verlagert: sie ahndet nicht begangenes sondern geplantes Unrecht (vgl. dazu Geraldine Louisa Morguet, Feindstrafrecht – eine kritische Abhandlung, Strafrechtliche Abhandlungen Band 204, Berlin, 2009, S. 51 ff.). Damit bewegt sie sich auf dem Gebiet des Polizeirechts, das nicht ins Strafrecht gehört.

Des weiteren ist mehr als fraglich, ob die hier angeklagten Taten schwerwiegend genug sind, um aus ihnen eine kriminelle Vereinigung abzuleiten. So hat der Bundesgerichtshof im Fall der „Autonomen Nationalisten Göppingen“ am 31.05.2016, 3 StR 86/16 entschieden, dass ein Zusammenschluss den Tatbestand nicht erfüllt, wenn die geplanten oder sogar durchgeführten Taten über einen Bagatellecharakter nicht hinauskommen.
  

Zwar gäbe es einen durchaus legitimen Bereich, um kriminelle Vereinigungen, die nicht beabsichtigen, sich auf dem Feld der klassischen Kriminalität zu tummeln, strafrechtlich zu verfolgen, und zwar, wenn die Vereinigung plant, Anschläge zu verüben, Selbstmordattentate auszuführen, Aktentaschen unter Schreibtische zu stellen, usw. Solche schwerwiegenden Gefährdungen der Rechtsordnung in Gestalt der Gruppenbildung werden aber durch die strafverschärfende Tat des § 129a StGB erfasst, so dass für das Grunddelikt des § 129 StGB in der Tat fast nur die scheinjuristiche Verfolgung des politischen Feindes übrigbleibt. Das ist unter den Prämissen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des Rechtstaatsprinzips unseres Grundgesetzes nicht legitim.    

Bezeichnenderweise wurde die PKK als Vereinigung im Sinne des § 129a StGB angesehen (BGH 3 StR 179/10). Man weiß, dass hierbei politischer Druck im Raume stand.


Zweitens:

Der politische Charakter ergibt sich ferner daraus, dass die von der Staatsanwaltschaft bemühten Strafvorschriften die vorgeworfene Tat als Lebenssachverhalt nicht zutreffend erfassen.

Seite 31 der Anklageschrift legt dar, warum die Angeklagten verfolgt werden. Es heißt dort:

„Die Angeschuldigten [Aufzählung der Namen] sowie weitere Personen waren bereits Mitglieder der „Aktionsfront Mittelrhein“, welche spätestens im Jahr 2003 gegründet worden war. Es handelte sich um eine Kameradschaft, die unter Leitung des Angeschuldigten ... das Ziel der Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Errichtung eines nationalsozialistischen Staates in Deutschland verfolgte. Diese Ziele sollten zunächst durch vielfältige Aktivitäten, so insbesondere durch Veröffentlichungen auf der Homepage, durch Verteilung von Propagandamaterial und sonstige öffentlichkeitswirksamen Aktionen erreicht werden. Es wurden auch Schulungen durchgeführt und Demonstrationen in Wunsiedel, Marienfels, Nastätten und anderenorts besucht.


Auch diese Gruppierung propagierte von Anfang an die Wiederherstellung des nationalen Sozialismus. Das „Aktionsbüro Mittelrhein“ strebte die Beendigung „der Besetzung des Deutschen Reiches“ und die Errichtung eines Staates nach nationalsozialistischem Vorbild an.“


Was somit beschrieben wird, also die geplante Herbeiführung eines Umsturzes, ist im Strafrecht als Taterfolg des Hochverratsparagraphen 81 StGB beschrieben.

Diese Strafvorschrift StGB lautet:

            „Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt

1.    den Bestand der BR Deutschland zu beeinträchtigen oder
2.    die auf dem GG der BR Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen

wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“

Für seine Erfüllung reicht es zwar einerseits aus, dass sich der oder die Täter nur anschicken, den Umsturz herbeizuführen. Dass der Erfolg eintritt, ist bei dem Unternehmensdelikt Hochverrat nicht erforderlich. Die Vorschrift setzt jedoch andererseits gewalttätige Aktionen, und zwar gegen staatliche Einrichtungen, voraus, die zum Erfolg führen sollen.

Das wird vorliegend nicht einmal von der Staatsanwaltschaft behauptet. Die in der Anklageschrift beschriebenen Bagatelledelikte wie Schmierereien oder Sachbeschädigungen, die in linken Kreisen zum guten Ton gehören und vom Staat nicht mit besonderer Intensität verfolgt werden (man denke gar an die bürgerkriegsähnlichen Zustände während des G-20 Gipfels in Hamburg am 07. und 08.07.2017) oder selbst der Vorfall Dresden, können nicht ernsthaft als geeignet angesehen werden, einen Umsturz herbeizuführen. Das reine Bestreben der Errichtung einer NS-Herrschaft ist jedenfalls nicht nach § 81 StGB strafbar. Daraus ist der Umkehrschluss zu ziehen, dass die Anklageschrift ein strafrechtliches Nullum beschreibt: Nur wenn das geistige Vorhaben des Zusammenschlusses, den die Anklageschrift Aktionsbüro Mittelrhein nennt, mit denen im Hochverratsparagraphen beschriebenen Mitteln erreicht werden sollen hätte, erfüllte es eine Strafvorschrift. In Bezug auf das in der Anklageschrift beschriebene Gruppenziel verdrängt also § 81 StGB als lex specialis den § 129 StGB, der somit nicht mehr angewendet werden kann.

Daher könnte die Tätigkeit des ABM allenfalls den vereinsrechtlichen Verbotsgrund des Artikels 9, Absatz 2, 2. Alt. GG („gegen die verfassungsmäßige Ordnung“) verwirklicht haben.

Diese Vorschrift lautet:

„Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten“ [H.d.V.]

Das ist aber mit einem strafrechtlichen Tatbestand nicht gleichzusetzen, wie sich aus dem Wortlaut klar ergibt, der die Tätigkeit einer Vereinigung, die den Strafgesetzen zuwiderläuft von dem soeben genannten Verbotsgrund abgrenzt. Die Verfassung kennt also die beiden gesonderten Verbotsgründe „gegen Strafgesetze“ und „gegen die Verfassung“. In der Konsequenz dieser Systematik ist ein Kampf gegen die Verfassungsordnung allein noch kein Indiz für eine Strafbarkeit. Diese Zusammenhänge werden von der Anklageschrift verkannt. Im Gegenteil: Indem die Anklage als Hauptziel der Angeklagten die Beseitigung der FDGO und die Herbeiführung eines nationalsozialistischen Staates nennt, ohne dafür die Tatbestandsvoraussetzungen des Hochverrates anzunehmen, erklärt sie selbst ein zwar vereinsrechtlich rechtswidriges aber strafrechtlich nicht relevantes Verhalten als Hauptzweck der Vereinigung. Konsequenterweise kann dann die Begehung von Straftaten nur ein untergeordneter Zweck sein. Das aber lässt den § 129 StGB entfallen. Die Anklage hebt sich also selbst auf.

Diese Ansicht wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 129 StGB geteilt. In dem richtungweisenden Urteil 3 StR 94/04 vom 21.10.2004 führt er wie folgt dazu aus:

„Die Organisation der Vereinigung muss auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert sein.“

„Nur wenn die Mitglieder der Vereinigung über das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten kommen könne, solche Taten auch als Ziel und Zweck ihres Zusammenschlusses anstreben, erscheint die vom Tatbestand vorgenommene Gleichstellung von Vereinigungen, deren Zwecke darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, mit solchen, bei denen bereits eine ausgeübte Tätigkeit eben diese Ausrichtung hat, gerechtfertigt.“

Der BGH gibt dabei ausdrücklich die noch im Urteil BGHSt 27, 325, 328 vertretene Ansicht auf, es reiche aus, wenn sich die Mitglieder bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann. So liegt es hier: Nach den eigenen Worten der Anklageschrift war der Vereinigungszweck der ABM ein Wandel des politischen Systems, eine neue Gesellschaftsordnung, deren Herstellung schon deshalb keine Straftat sein kann, weil Art. 146 GG sie ausdrücklich ermöglicht (es sei denn, man befleißigt sich dazu der Mittel des § 81 StGB, s.o.).


Ein sodann folgender Vorwurf reicht ans Absurde. Auf Seite 32 der Anklageschrift heißt es:

„Der Bundesrepublik Deutschland wurde vorgeworfen, die verfassungsmäßige Ordnung, insbesondere die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung sowie die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht nicht einzuhalten.“


Unter strafrechtlichem Blickwinkel ist nicht nachzuvollziehen, was ein solcher Passus in einer Anklageschrift zu suchen hat. Man kann den erörterten Vorwurf wahlweise als Besorgnis um den Bestand der Republik oder auch als Kritik an ihr, weil sie sich an die eigenen Maßstäbe nicht hält, auslegen. Wenn man sie deshalb als illegitimen Staat sehen sollte, wäre das legitim. Das ist aber eine politische Frage, die nicht vor eine Strafkammer gehört.


Schließlich hat auch die bisherige Hauptverhandlung selbst gezeigt, worum es im eigentlichen geht.

So verkam die Vernehmung der Zeugin S vom Bündnis Remagen in der Hauptverhandlung vom 20.05.2015 zu einem Vorfall am Friedensmuseum Remagen am 24.09.2011 (vgl. Bl. 4816 der Sachakte) zu einer reinen geschichtspolitischen Debatte über die Zahl der in den Rheinwiesenlagern umgekommenen deutschen Soldaten und Zivilisten. Dabei wurde erkennbar, dass genau das, nämlich die zur herrschenden und teilweise verordneten Geschichtsauffassung in der BRD im Gegensatz stehende Auffassung der Angeklagten bzw. eines Teils davon hauptsächlicher Teil der Gefahr ist, die es zu bekämpfen gilt.

Schon frühzeitig in der Hauptverhandlung hatte die Vernehmung des Zeugen K aufgezeigt, wo der Kern des Verfahrens zu suchen ist.

Seine auf mehrere Verhandlungstage in den Monaten Juni und Juli 2013 verteilte Aussage war hinsichtlich der strafprozessualen Vorwürfe gegen die Angeklagten nahezu unerheblich. Der Zeuge konnte lediglich bezüglich des Vorfalles am 24.05.2011 (eine nicht strafbare Ausspähaktion) am Jugendbahnhof Remagen Angaben machen und diesbezüglich unergiebige. So wusste er zwar zu berichten, durch Blicke eingeschüchtert worden zu sein, nicht aber die Personen zu benennen, von denen diese massiven Angriffe ausgingen. Ansonsten waren die Aussagen dürftig und schon deshalb fragwürdig, weil Herr K, als jemand, der sich beruflich seit Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus befasst, der zwei Jahre in einer linksextremen Partei organisiert war, war, darunter eine Zeit lang Vorsitzender eines Kreisverbandes, dem Gericht erzählen wollte, dass er regional tätige und bekannte Antifaschisten nicht kenne, dass er nicht wisse, wer an Veranstaltungen teilgenommen hätte, bei denen er selbst Referent war, dass er sich an den Inhalt seiner eigenen Ausführungen bei solchen Veranstaltungen nicht mehr erinnern könnte und ähnliches mehr. Um so mehr erging er sich in politischen Ausführungen, zum Beispiel zum/zur:

Antisemitismus: Herr K meinte ein Indiz dafür in der Verwendung des Begriffes „Ostküste“ in dem Manifest des ABM zu erblicken.

Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Dies mag ein soziologisch berechtigtes Kriterium sein, um Denkweisen zu ermitteln, aber Denkweisen sind nicht strafbar (oder doch?). Im Übrigen konnte der Zeuge nicht erklären, was rechtes Denken ist (in der HV vom 2.7.2013). Insofern muss er sich selbst vorwerfen lassen, einem gruppenbezogenen Vorurteil zu unterliegen.

Geschichtsrevisionismus: An dieser Stelle gab der Zeuge, vor allem in seiner ersten Vernehmung am 7.6.2013, ein eindrucksvolles Zeugnis, worum es ihm und der ihn attestierenden Strafverfolgungsbehörde in Wahrheit geht: falsche Ansichten zu kriminalisieren: Die Zahl der Toten, von denen die Angeklagten in bezug auf die Rheinwiesenlager ausgehen (s.o.) mögen falsch sein, andere Zahlen mögen der Wahrheit näher kommen (wobei der Zeuge bemerkenswerterweise eingestand, selbst nicht zu wissen, welche Zahl stimmt; also kann er auch nicht wissen, welche falsch ist), aber falsche Zahlen über einen historischen Ablauf als Ausdruck von Extremismus zu verkaufen, ist abwegig. 

Drei-Säulen-Strategie: Die Erörterung dieses vom Zeugen, nicht vom Gericht, eingeführte Thema gestaltete er besonders tendenziös. Zum einen ist die Handlung nach der DSS eine Parteitaktik der NPD. Sie ungeprüft auf den ABM anzuwenden, ist unzulässig. Sodann zum anderen zu behaupten, ihre Gewalttätigkeit zeige sich in ihren Zielen, ist eine Falschbehauptung, die der seinerzeitige Vorsitzende hätte unterbinden müssen: Was der Zeuge hier beschrieb, ist nichts anderes, als ein von der Demokratie vorgesehener Vorgang: durch die Mittel der Kundgabe, der Überzeugung und des Wahlkampfes die eigenen politischen Ziele mehrheitsfähig zu machen. Der Zeuge trat übrigens in erstaunlicher Offenheit auf einer Veranstaltung dafür ein, aus politischen Gründen das Verbot einer rechtmäßigen und gemäß Artikel 8 GG mit Grundrechtsrang ausgestatteten Kundgebung des ABM zu fordern (Rheinzeitung vom 14.12.2012).

Wenn der Zeuge schließlich ohne Ironie behauptete, die Gewaltbereitschaft der Angeklagten beispielhaft darin zu erkennen, dass der Angeklagte L auf einer Veranstaltung linker Gruppen auftauchte und dadurch Unwohlsein erregte, wurde vollends klar, was der Kern des Vorwurfes ist, den die Staatsanwaltschaft in eine 926seitge Anklageschrift verpackt hat: politische Feindschaft.

Das alles könnte noch weiter ausgeführt werden, etwa durch die gewundene Darbietung politischer Meinungen des Zeugen und Parteifreundes des Vorsitzenden W, jetziger Polizeipräsident von Aachen, oder durch die Aufnahme einer Kundgebung der sog. Unsterblichen am 09.11.2011 in Düsseldorf (Fallakte 26) in den Katalog der angeklagten Taten.

Deshalb mag der Prozess sich in den nächsten 337 Verhandlungstagen formal noch so korrekt entwickeln, so fehlt es ihm dennoch an jedweder innerer, auf Gerechtigkeit zielender, Legitimität.





Dr. Björn Clemens, RA