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Donnerstag, 31. Januar 2019

GEH  NICHT  ZUR  NUTTE!

vom Übel der Beiordnungsprostitution


Die Zeiten verschärfen sich. Was wir jeden Tag im allgemeinen gesellschaftlichen Klima spüren, schlägt sich auch bei Gericht nieder, und zwar vor allem im Strafprozess. Dort herrscht ein rauer Wind. Der Angeklagte ist schuldig, sonst wäre er nicht angeklagt, die Polizei hat immer recht, das Ordnungsamt auch, und das Gericht ist ohnehin unfehlbar. Der Menschenschlag, dem wir auf den hohen Richterbänken begegnen, ist immer häufiger von Ignoranz und Selbstgefälligkeit geprägt.

In dieser Atmosphäre lassen sich die Rechte des Beschuldigten nur durch eine sachgerechte Verteidigung wahren. Das beginnt jedoch außerhalb des Gerichtssaales. Dabei werden immer wieder einige Grundprinzipien verletzt. Als Beschuldigter einer Straftat macht man nie eine Aussage vor der Polizei. Das Schweigen im Ermittlungsverfahren ist alternativlos. Im Prozess selbst kann sich nur verteidigen, wer umfassende Aktenkenntnis besitzt, und die wird nur einem Verteidiger gewährt. Wenn er rechtzeitig eingeschaltet wird, kann er möglicherweise eine Hauptverhandlung verhindern. Wenn es dennoch zum Prozess kommt, sollte der Beschuldigte ihn auf keinen Fall ohne anwaltlichen Beistand angehen, auch wenn er sich für noch so fähig befindet, sich alleine zu verteidigen. Das ist ein unverzeihlicher Irrtum. Die emotionale Belastung in einem solchen Verfahren führt dazu, dass man sich selbst schadet.

Es kann jedoch etwas noch Schlimmeres passieren: Der Beschuldigte gerät an einen Pflichtverteidiger, der vom Gericht beigeordnet wird, ohne den Mandanten zu kennen. Diese Leute machen in der Folge für den das Geschäft, in dessen Sold sie stehen. Das heißt, sie setzen dem Gericht keinen Widerstand entgegen, sondern tragen ihren Teil zu einem „reibungslosen“ Ablauf, das heißt zu einer problemlosen Verurteilung, bei. Daher geben sie den Mandanten oft falsche Ratschläge - so raten sie etwa verfehlterweise zu  einer Aussage - und denken gar nicht daran, das Instrumentarium der Strafprozessordnung auszunutzen. Sie schweigen, wo sie als Verteidiger intervenieren sollten. Dabei vernachlässigen sie bedenkenlos deren Interessen. Vornehme Zungen bezeichnen sie als Geständnisbegleiter. In der Fachliteratur findet man allerdings das treffendere Wort von der Beiordnungsprostitution. So schreibt Olaf Klemke in der Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, 3. Aufl., 2013, Rn. 117:

"In der Praxis ist es allzu oft so, dass das Gericht die `üblichen Verdächtigen´ bestellt, nämlich Anwälte, mit denen das Gericht in der Vergangenheit `gut zusammenarbeiten´ konnte. Dies sind oft Verteidiger, die um weiterer amtswegiger Beiordnungen willen notwendige Verteidigungsaktivitäten nicht entfalten (Phänomen der sog. `Beiordnungsprostitution´)." 

Um zu verhindern, dass ein Beschuldigter in die Fänge solcher Zeitgenossen gerät, muss er vom ersten Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden an den Verteidiger seines Vertrauens benennen. Besonders gefährlich wird es, wenn jemand in die unangenehme Lage der Untersuchungshaft gerät. Auch und gerade dann hat er/sie aber aus der Strafprozessordnung den Anspruch, einen Anwalt selbst zu bestimmen, den ihm das Gericht beiordnen muss. Nie darf man auf die Ratschläge, die Untersuchungsrichter oder gar Staatsanwälte oder Polizeibeamte erteilen, hören, und wenn ein Anwalt, den der Beschuldigte überhaupt nicht kennt, plötzlich wie von Zauberhand gerufen, in der Zelle steht, gibt es nur eins: wegschicken und zwar sofort! Der Deutsche Anwaltverein wirbt seit Jahren mit dem Slogan „Anwalt ist Vertrauenssache“, und genauso ist es.

Bei der Auswahl der Verteidiger sollte, wenn andere Kriterien nicht zur Verfügung stehen, darauf geachtet werden, ob er schon in einem sogenannten Umfangsverfahren tätig war. Dabei handelt es sich um Großprozesse mit mehr als zehn Angeklagten, beispielsweise vor einer Staatsschutzkammer oder in einem Betäubungsmittelverfahren. Erst dort bekommt der Verteidiger den letzten Schliff im Umgang mit komplexer Materie und seltenen Prozesskonstellationen.