Eklat im Lübcke-Prozess
Dünnhäutiger Vorsitzender entzieht Verteidiger das Wort
Im Strafverfahren wegen des Tötungsdeliktes am früheren
Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke vor dem OLG Frankfurt kam es
am 27. August 2020, dem 13. Verhandlungstag, zu einem Eklat. Als der
Verteidiger des Mitangeklagten H. die Zeugenaussage des Leiters der polizeilichen
Sonderkommission in einer prozessualen Erklärung zusammenfasste, entzog ihm der
Vorsitzende Richter das Wort. Angeblich hätte der Verteidiger unzulässigerweise
das Schlussplädoyer vorweggenommen. Worum es aber wahrscheinlich im Eigentlichen
ging, ließ der Richter durchblicken, als er den Verteidiger mit den sinngemäßen
Worten rügte, es komme ihm nicht zu, anderen Verfahrensbeteiligten tendenziöses
Verhalten zu unterstellen. In der Tat hatte der Verteidiger zuvor eine entsprechende
Andeutung gemacht. Denn der Zeuge hatte
in seiner Aussage, etwa zu den angeblichen Laufwegen bei der Tatausführung, zu
nicht festgestellten Fußspuren und zur Beleuchtung die Einlassung des Hauptangeklagten
diametral widerlegt. Möglicherweise gefällt das dem einen oder anderen nicht.
Das auszusprechen gehört zu den Kernpflichten eines Verteidigers, gerade wenn
er den Verdacht von ergebnisorientiertem Verhalten in der Hauptverhandlung hat,
egal von welcher Seite es kommen mag. Die ungehaltene Reaktion des Vorsitzenden,
der bei seinen eigenen Worten oft wenig wählerisch ist („Hören Sie nicht auf
Ihre Verteidiger, hören Sie auf mich“, „Diese Anträge waren gequirlter Unsinn“)
zog einen weiteren Befangenheitsantrag nach sich. Da der Senat den Vorsitzenden
mit einem Beschluss deckte, richtet sich der Befangenheitsantrag gegen ihn als
Ganzes.