Vier Jahre ABM-Prozess vor
dem Landgericht Koblenz
Größtes Verfahren in Deutschland dauert bald länger als der Erste
Weltkrieg
Am
20. August 2016 jährt sich zum vierten Mal der Beginn der Hauptverhandlung des
Strafverfahrens um das Aktionsbüro Mittelrhein vor dem Landgericht Koblenz. Derzeit richtet es sich noch gegen 19 der ursprünglich 26 Angeklagten. Dabei steht der Tatbestand der kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB im
Zentrum. Bislang fanden knapp 300 Verhandlungstage statt, nicht mitgezählt
solche, die wegen Krankheit o.ä. kurzfristig abgesagt werden mussten, bei denen
die anderen Verfahrensbeteiligten aber schon vor Ort waren. Am 1. Dezember wird
der Prozess die Dauer des Ersten Weltkrieges überschritten haben. Er dürfte
aber welthistorisch dessen Bedeutung nicht ganz erreichen, auch wenn er das
derzeit längste und umfangreichste deutsche Strafverfahren ist.
nicht
mehr kandidierte, am 21. Juli 2015 im Justizausschuss des Landtages von
Rheinland-Pfalz den Verfahrensstand erfragte. Ausweislich des Protokolls zu
Punkt 7 der Tagesordnung, Vorlage 16/5449, S. 18, berichtete er von einem
Besuch eines Verhandlungstages, bei dem die Verhandlungsatmosphäre
„gespenstisch“ gewesen sei. Wenn der Prozess in irgendeiner Form platze, wäre
das fatal. Ferner sagte er damals:
„... es wäre für die Gesellschaft dieses Landes und für die politische Kultur
äußerst wichtig, wenn dieses Verfahren zu einem erfolgreichen Abschluss
geführt werden könnte. Dies wäre der dringende Wunsch der CDU.“ [H.d.V.]
Was
Herr Wilke als erfolgreichen Abschluss ansieht, kann man sich denken. Bisher
hat es das Gericht nicht für nötig befunden, einem Beweisantrag zu entsprechen
und Herrn Wilke zu seinem obskuren Vorgehen, das wenig anderes dargestellt
haben dürfte, als den Versuch eines Angehörigen der Legislative, in die Rechte
der Judikative einzugreifen, zu befragen.
Die
926seitige (!) Anklageschrift, die diejenige des NSU-Verfahrens um ca. 250
Seiten übertrifft, behauptet, beim sog. Aktionsbüro Mittelrhein handele sich um eine Kameradschaft,
die das Ziel der Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und
der Errichtung eines nationalsozialistischen Staates in Deutschland verfolgte.
Diese Behauptung wäre aber selbst dann nicht im Sinne einer kriminellen
Vereinigung strafbar, wenn sie zuträfe. Denn der strafrechtliche Staatsschutz
würde in diesem Falle von der Vorschrift des Hochverrates gem. § 81 StGB
gewährleistet, zu dem aber die weiteren Voraussetzungen, insbesondere ein
gewalttätiger Umsturz oder Vorbereitungen dazu fehlen.
Auch im
weiteren geht selbst aus der Anklageschrift deutlich hervor, dass das ABM von
einer politischen Zielsetzung geprägt ist und nicht davon, Straftaten zu
begehen, wenn es in einer verräterischen Formulierung heißt:
„Der Bundesrepublik Deutschland
wurde vorgeworfen, die verfassungsmäßige Ordnung, insbesondere die Bindung der
Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung sowie die Bindung der
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht nicht
einzuhalten. Den Staatsorganen wurde angelastet, elementare Grundrechte, wie z.
B. die Würde des Menschen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht auf
freie Meinungsäußerung und das Recht auf Ehe und Familie, hier insbesondere das
Erziehungsprivileg der Eltern zu missachten. Der Exekutive wurde Unterdrückung
und Indoktrination vorgeworfen. Der Legislative wurde zur Last gelegt, Gesetze
zum Zwecke der Verhinderung der Meinungsfreiheit zu erlassen.“
noch
einmal deutlich gesagt hat, dass sie in der Regel nicht schwerwiegend genug
sind, um für den Tatvorwurf des § 129 StGB auszureichen, oder in Delikten, die
– aus Sicht der Verteidigung – nicht von einem wie auch immer gearteten
Gruppenwillen der Angeklagten herrührten, sofern sie sich überhaupt
bewahrheiteten, was oft genug nicht der Fall war.
Bei
anderen Vorwürfen stach die Instrumentalisierung des Strafrechts für politische
Zwecke, so die klassische Definition der politischen Justiz von Otto
Kirchheimer, noch deutlicher ins Auge:
So wurde wochenlang eine nächtliche Kundgebung der sogenannten Unsterblichen im
Düsseldorfer Nobelvorort Kaiserswerth, wo die Menschen sich normalerweise mit
Sekttrinken und Porschefahren beschäftigen, abgehandelt, weil sie angeblich aus
dem Kreis des ABM organisiert worden sein soll und damit als unangemeldete
Versammlung gemäß § 26 VersG in die Anklage Eingang gefunden hatte. Ein solches
Kleinstdelikt wird aber in der Bundesrepublik meistens nur dann verfolgt, wenn
die politische Stoßrichtung der Demo unerwünscht ist, und das ist für die
herrschenden Kräfte offensichtlich der Fall, wenn vor dem Volkstod gewarnt
wird. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass dieser Volkstod noch während
des laufenden Verfahrens mit dem Flucht- und Flutungsbeschluss vom 4.9.2015 von
höchster Stelle in Gang gesetzt wurde.
Folgerichtig
glitten Zeugenaussagen immer wieder in politische Statements ab, die die ganze
Bandbreite der Systemphraseologie abdeckten. So beschwor der Soziologe Rolf
Knieper vom „Beratungszentrum gegen Rechtsextremismus“ Rheinland-Pfalz eine
angebliche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, erging sich der hochrangige
Verfassungsschützer und nunmehrige Polizeipräsident von Aachen Dirk
Weinspach in abstrakten Konditionalsätzen darüber, was unter welchen
Bedingungen verfassungsfeindlich sei, ohne jedoch den Angeklagten viel
Konkretes vorwerfen zu können und empörte sich eine Dame vom Remagener
Bündnis für Frieden und Demokratie über den angeblichen Missbrauch der
alliierten Rheinwiesenlager (Gefangenenlager, in denen deutsche Kriegsgefangene
nach dem 8. Mai 1945 systematisch dem Hunger- und Seuchentod ausgesetzt waren)
für die „rechtsextremen“ Ziele des ABM. Dass derartige Bekundungen weniger mit
dem Kampf ums Recht als mit dem Kampf gegen rechts zu tun haben, liegt auf der
Hand. Auch darüber hinaus glänzten viele Zeugen mit schillernden Signalvokabeln
wie „Nazi“ und ähnlichem. Dabei wurde deutlich, wie selbstverständlich das
Toleranzverständnis vieler unserer Zeitgenossen beinhaltet, dass das geduldete
Meinungsspektrum nur mehr von links bis linksaußen reichen darf. Bereits in der
Mitte beginnt für die Toleranzbeflissenen die Notwendigkeit des
Strafrechts.
Selbst
der, gemessen an Strafvorwurf und Ausmaß, schwerwiegendste Tatvorwurf hat einen
dezidiert politischen Hintergrund. Dabei handelt es sich um eine Art
Straßenschlacht an dem linken Wohnprojekt Praxis in Dresden am 19.02.2011. Die
Anklage ging hier von einem schweren Landfriedensbruch (§ 125a StGB) einer
Reihe der Angeklagten aus, der durch einen angeblich schon auf der Anfahrt
geplanten Angriff auf dieses Haus seinen Ausgang genommen haben soll. Dieser
Vorwurf kann schon lange nicht mehr aufrecht erhalten werden, da nach der
Vernehmung etlicher Zeugen davon auszugehen ist, dass die etwa hundert rechten
Demonstranten, aus deren Reihen dann einige Steine aufs Haus geworfen haben
sollen, friedlich durch die Straße zogen, um an dem Dresdner Trauermarsch gegen
den alliierten Terrorangriff im Februar 1945 teilzunehmen, bis aus dem Haus
Flaschen und andere Gegenstände auf sie flogen. Die am Ende wie auch immer
strafrechtlich einzuordnenden Handlungen der Angeklagten waren also eine
Reaktion auf die Angriffe aus dem Haus und nicht umgekehrt. Passenderweise
stellte sich heraus, dass der anderslautende Begriff „Angriff auf das Projekt“
einer Arbeitshypothese der Dresdner Polizei entsprach, die aufgestellt wurde,
bevor man mit den Ermittlungen begann...
Der
Komplex Praxis ist aber vor allem interessant, weil er zum Umfeld des genannten
nationalen Großereignisses, das der Nomenklatura schon seit Jahren ein Dorn im
Auge ist, gehört. Auch im fraglichen Jahr 2011 war es von umfangreichen Stör-
und Propagandaaktionen des Linksextremismus
begleitet, in deren Zentrum die Abgeordnete der Linkspartei Katja
Kipping stand, die über Internet u.a. tagelang gegen die Kundgebung gehetzt
hatte. Im Prozess kam bei der Zeugenaussage einer Polizistin her heraus, dass
Frau Kipping plötzlich im Hausflur stand, als die Polizei in den Räumen des
linken Zentrums „Roter Baum“, wo die Koordinationszentrale der Krawallaktionen
vermutet wurde, eine Hausdurchsuchung durchführte. Honi soit, qui
mal y pense….
So
hat der Prozess in seinen bislang vier Jahren viel über die politischen
Mechanismen im freiesten aller Staaten offengelegt; über kriminelle Strukturen
konnte er aber keine Erkenntnisse vermitteln, so dass selbst der im Laufe des
Verfahrens merklich kleinlaut gewordene Oberstaatsanwalt Walter Schmengler,
auf dessen Verfolgungseifer der Prozess zurückgeht, inzwischen mehrfach
bekundet hat, der § 129 sei für ihn kein Credo. Nun denn!
Der
hauptsächliche Ertrag des Verfahrens mag daher in den elf Kindern bestehen, die
Angeklagten und Verteidigern seit dem 20. August 2012 geboren wurden!