Die Maske ist gefallen
Richter verbietet Verteidiger das Wort - Dokumentation einer nicht gehaltenen Stellungnahme
Früh ist die Maske des fairen Verfahrens gefallen. Bereits am dritten Verhandlungstag (12.03.2019) des zum dritten Mal begonnenen Großstrafverfahrens Aktionsbüro Mittelrhein am Landgericht Koblenz hat der Vorsitzende Richter Reiner Rühmann, Parteimitglied der SPD, gezeigt, wie er diesen politischen Prozess zu leiten gedenkt: Ohne jeden tragfähigen rechtlichen Ansatz unterbrach er einen Verteidiger bei seiner Eingangserklärung nach § 243 Absatz 5 der Strafprozessordnung, die ihm die Möglichkeit geben soll, die Anklage aus Sicht der Verteidigung zu bewerten, genau an dem Punkt, als der zu erläutern begann, worin er den politischen Charakter des Verfahrens zu erblicken meint. Das passte dem Vorsitzenden nicht ins Konzept, und so entzog er dem Verteidiger das Wort. Das wurde von den meisten Beteiligten als Willkür empfunden. Die prozessualen Mittel dagegen wurden erhoben, bzw. werden erhoben werden.
Nachfolgend dokumentieren wir die nicht gehaltene Stellungnahme im Wortlaut (Personen anonymisiert):
2090 Js 29752/10.12 Kls
In dem Strafverfahren
gegen ..., hier: X
wegen: Vorwurfes der Bildung einer
kriminellen Vereinigung
erkläre
ich gemäß § 243 Absatz 5 StPO für meinen Mandanten folgendes:
Das
nunmehr fortzusetzende Verfahren gegen noch 13 Angeklagte, die unter dem
Schlagwort „Aktionsbüro Mittelrhein“ als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB
angeklagt sind, begann im ersten Durchgang mit der Hauptverhandlung am 20.
August 2012 und wurde über 337 Verhandlungstage ergebnislos fortgesetzt. Nicht eingerechnet sind hierbei die
mindestens zwanzig weiteren Verhandlungstage, die kurzfristig abgesetzt wurden,
zu denen aber schon fast alle Beteiligten angereist waren. An jenem 20. August
2012, dem Eröffnungstag sagte der seinerzeitige Vorsitzende der 12.
Strafkammer, Hans-Georg Göttgen:
„Dieses Verfahren sucht
seinesgleichen und wird es nicht finden.“
Wahr
gesprochen, sagen wir heute, sechs Jahre und acht Monate später, da wir die Hauptverhandlung
erneut eröffnen, also komplett von vorne anfangen!
Man
muss fragen, und viele im Land fragen sich, welcher Grund besteht, um noch
einmal alles aufzurollen. Ist es die Schwere der Taten und die darin zum
Ausdruck kommende Schuld der Angeklagten, die einen hohen Strafausspruch
erwarten lässt, der es rechtfertigt auch noch nach Jahren ein Geschehen
aufzuarbeiten, welches im zeitlichen Ablauf immer mehr verblasst? Sind es
Morde, Bankraube, Bombenanschläge, Schießereien, Brandanschläge, über die das Gericht
befinden wird? Nein, sie sind es nicht. Sind es sexuelle Nötigungen,
Vergewaltigungen, bandenmäßig begangene Zwangsprostitution usw.? Nein, sie sind
es nicht. Sind es massive Grenzverletzungen, Schleuserkriminalität, die unser
Land mit Flüchtlingen oder solchen, die es nur vorgeben zu sein, überschwemmt
und tausende von Schläfern und sonstigen Risikopersonen ins Land führen? Nein,
sie sind es nicht. Vielmehr sind es Sachbeschädigungen, überklebte
Straßenschilder, Schmierereien, einzelne Körperverletzungen und eine größere
Straßenschlacht am 19.02.2011 in Dresden, die hier unter dem Dach des § 125a
StGB als schwerer Landfriedensbruch angeklagt wird, von dem aber
bezeichnenderweise die Anklageschrift selbst einräumte, dass sie nicht von
einem der Angeklagten eröffnet wurde, sondern von den Bewohnern eines linken
Wohnprojekts, wenn sie auf S. 50/51 ausführt:
„Daraufhin
wurde aus dem Haus Columbusstraße 9 eine Rakete geworfen oder abgeschossen. Nunmehr kam es sodann aus der Gruppe,
die zu diesem Zeitpunkt aus etwa 150 Personen bestand, zu gewalttätigen
Aktionen gegen die Häuser Wernerstraße 9 und 11 und Columbusstraße 9 sowie
seine Bewohner.“ [H.d.V.]
Dieser
Vorwurf (Fallakte 11) betrifft auch den Angeklagten X, der zu den sieben
Hauptangeklagten gehört, die vom März 2012 bis Januar 2014 über 22 Monate in
Untersuchungshaft verbrachten; genau genommen 666 Tage. Diese lange Haftdauer,
zu der die überlange Verfahrensdauer, die erhebliche Einschränkungen im Privat-
und Berufsleben des Angeklagten hervorriefen, hinzukommt, steht zu der
möglicherweise zu erwartenden Strafe außerhalb jedes vernünftigen
Verhältnisses. Die einzig angemessene Behandlung jedenfalls dieses, vom
Unterzeichner verteidigten, Angeklagten und der ihm zur Last gelegten
Tatvorwürfe wäre eine Einstellung nach § 153 oder § 153a StPO gewesen, zumal
die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 28.05.2018 mitteilte, das Verfahren
gegen ihn abtrennen und auf den Tatvorwurf des soeben benannten Verfahrens der Fallakte 11 sowie zwei weitere
Kleindelikte beschränken zu wollen. Genau das, also die Einstellung nach § 153
StPO, beantragte er unter dem 27.08.2018. Dieser Antrag blieb zunächst
unbeantwortet, so dass der Unterzeichner mit Schreiben vom 24.09.2018 nach
dessen Schicksal fragen musste. Mit Schreiben vom 10.10.2018, zugegangen am
12.10.2018, teilte das Gericht dann zwar mit, dass die Staatsanwaltschaft dem Antrag
nicht zustimme, unterließ es aber, deren Schreiben vom 26.09.2018, in dem die Ablehnung
ausgesprochen worden war, dem Unterzeichner zuzuleiten, so dass er am
19.10.2018 zu einer weiteren Nachfrage gezwungen war. Erst darauf hin geruhte
das Gericht, mit Telefax vom 10.10.2018 die Mitteilung der Staatsanwaltschaft
weiterzuleiten. Sie bestand im übrigen aus dem vollmundigen Satz, dass dem Antrag
nicht zugestimmt werde. Diese Vorgehensweise wirft ein bezeichnendes Licht darauf,
was das Gericht unter einem fairen Verfahren versteht.
Das
alles legt die Vermutung nahe, dass es vorliegend nicht um strafprozessuale
Zwecke gehen könnte, denn in nahezu jedem anderen Verfahren wäre einem solchen
Antrag zugestimmt worden. Das gilt umso mehr, als keiner der anerkannten Strafzwecke
(vgl. dazu Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I 3. Aufl., 1997, § 3) mehr
erreichbar ist, wenn in ein oder zwei Jahren Bagatellestrafen ausgesprochen
werden sollten. Nimmt man nur einmal die Spezialprävention in Gestalt der Resozialisierung,
so muss man feststellen, dass dieser Mammutprozess das genaue Gegenteil
bewirkt, wenn er die Angeklagten über Jahre mehrere Tage in der Woche in den
Gerichtssaal zwingt. Hiermit wird sowohl ein geregeltes Arbeitsleben als auch
ein Familienleben unmöglich gemacht.
Worum
es tatsächlich geht, wurde denn auch von einigen politischen Akteuren mit
bemerkenswerter Klarheit ausgesprochen.
Der seinerzeitige
Landtagsabgeordnete Axel Wilke sagte in der 46. Sitzung des Rechtsauschusses
des Landtags von Rheinland-Pfalz in der 16. Wahlperiode zur Vorlage 16/5449 am
21.07.2015, wenn der Prozess in irgendeiner Form platze, wäre das fatal. Ferner
wird er wie folgt wörtlich wiedergegeben:
„... es wäre für die Gesellschaft dieses
Landes und für die politische Kultur äußerst wichtig, wenn dieses Verfahren zu
einem erfolgreichen Abschluss geführt werden könnte. Dies wäre der
dringende Wunsch der CDU.“ [H.d.V.]
Noch
deutlicher wurde der seinerzeitige Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz,
Roger Lewentz in einem Interview mit dem SWR am 14. März 2012, einen Tag nach
der Verhaftung der Angeklagten:
„Also wir haben das zusammengetragen,
und wir wollten ja auch nicht einzelne herausholen, sondern dieses gesamte
„Aktionsbüro Mittelrhein“ zerschlagen. Das ist uns gestern gelungen. Und ich
glaube, ab und an muss man ein wenig zuwarten, damit man mit Stumpf und Stiel
ausrotten kann. Und wir haben da gestern einen harten Schlag geführt.“
Man
beachte die Wortwahl „Stumpf“, „Stiel“ und „ausrotten“.
Dazu
passt, dass Auslöser des Verfahrens eine Pressemeldung der Linksjugend vom
15.01.2009 war, die die Überschrift „rechtsradikale Aktivitäten im Ahrkeis
nehmen zu“ trägt (Blatt 2 der Sachakte). Ziel des Verfahrens scheint demnach weniger
die sachgerechte strafprozessuale Aufarbeitung begangenen Unrechts zu sein, als
den politischen Kampf gegen rechts juristisch zu bemänteln, wer auch immer
dafür verantwortlich ist. Das aber ist ein Missbrauch des Rechts zu politischen
Zwecken, wie er in der wissenschaftlichen Literatur zahlreich festgestellt und
kritisiert wird. (Vgl. nur Otto Kirchheimer, Politische Justiz, Verwendung
juristischer Verfahrensmöglichketen zu politischen Zwecken, Neuwied, 1965.)
Der
politische Charakter des Verfahrens folgt auch aus zwei grundlegenden
rechtlichen Überlegungen.
Erstens:
Die
zentrale Vorschrift des Verfahrens, die es erst zu einem solchen Umfangs- und
Gruppenverfahren erhebt, ist der § 129 StGB, Bildung einer kriminellen
Vereinigung. Dass sich mehrere Personen zur Begehung einer Straftat
zusammentun, ist indes kein Spezifikum des § 129 StGB. Vielmehr findet man
solches an vielen Stellen des Strafgesetzbuches, beispielsweise in:
- § 244 Absatz 1, Ziffer 2 StGB:
bandenmäßige Begehung von Raub oder Diebstahl
- § 260a Absatz 1 StGB: bandenmäßige
Hehlerei
- § 263 Absatz 3, Ziffer 1 StGB:
bandenmäßige Begehung von Betrug
- § 232 Absatz 3, Ziffer 3 StGB:
bandenmäßiger Menschenhandel
- § 232a Absatz 4 i.V.m. § 232 Absatz 3,
Ziffer 3 StGB: bandenmäßige Zwangsprostitution
- § 284 Absatz 3, Ziffer 2 StGB:
bandenmäßiges unerlaubtes Betreiben von
Glücksspiel
- 30a Absatz 1 BtMG: bandenmäßiger Handel
mit Betäubungsmitteln
- § 373 Absatz 2, Ziffer 3, AO: bandenmäßiger
Schmuggel oder Bannbruch
- § 96 Absatz 2, Ziffer 2 AuslG:
bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern
Das
letzte Beispiel lässt besonders aufhorchen.
Das
Gesetz hält also die verschiedensten Spezialvorschriften bereit, um alle
erdenklichen Formen von Bandenkriminalität zu bekämpfen, bei denen tatsächlich
Rechtsgüter, wie Eigentum, Freiheit (auch Freiheit von Sucht), Gesundheit,
Vermögen usw. auf dem Spiel stehen. Deshalb bleibt bereits nach dem Grundsatz
des lex specialis für den § 129 StGB kaum ein Anwendungsbereich, zumal die
Rechtsprechung den in den vorgenannten Vorschriften auftauchenden Bandenbegriff
anders definiert als die Vereinigung in § 129 StGB. Aber jedenfalls ist es von
anderen Gesetzen erschöpfend erfasst, wenn sich mehrere Personen
zusammenschließen, um strafbare Handlungen, bei denen es um etwas geht, zu
begehen. Eine Bestrafung nach § 129 StGB scheidet also gerade in den Fällen wirklicher
Straftaten aus.
Daher
ist im Schrifttum anerkannt, dass § 129 StGB trotz seiner allgemeinen Fassung
letztlich auf die Kontrolle politischer (Geheim-) Bünde zielt, die ähnliche
Strukturen aufweisen, wie ein Verein im Sinne des öffentlichen und des
Privatrechts (Dessecker, Zur Konkretisierung des Bandenbegriffs im Strafrecht,
NStZ 2009, 184, 188 m.w.H und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes bei Fischer StGB, § 129 , Rn. 4). Der Historiker Josef
Grässle-Münscher, Kriminelle Vereinigung – von den Burschenschaften bis zur
RAF, Münster und Hamburg, 1991, kommt zu dem Ergebnis:
„Die Bestimmung des § 129 StGB zeigt bis
in die jüngste Vergangenheit eine rein politische Anwendungspraxis.“ (S. 167)
Zu
all dem kommt das rechtsdogmatische Problem, dass die Vorschrift des § 129 StGB
die Strafbarkeit in das Vorfeld einer eigentlichen Straft verlagert: sie ahndet
nicht begangenes sondern geplantes Unrecht (vgl. dazu Geraldine Louisa Morguet,
Feindstrafrecht – eine kritische Abhandlung, Strafrechtliche Abhandlungen Band
204, Berlin, 2009, S. 51 ff.). Damit bewegt sie sich auf dem Gebiet des
Polizeirechts, das nicht ins Strafrecht gehört.
Des
weiteren ist mehr als fraglich, ob die hier angeklagten Taten schwerwiegend
genug sind, um aus ihnen eine kriminelle Vereinigung abzuleiten. So hat der
Bundesgerichtshof im Fall der „Autonomen Nationalisten Göppingen“ am
31.05.2016, 3 StR 86/16 entschieden, dass ein Zusammenschluss den Tatbestand
nicht erfüllt, wenn die geplanten oder sogar durchgeführten Taten über einen Bagatellecharakter
nicht hinauskommen.
Zwar
gäbe es einen durchaus legitimen Bereich, um kriminelle Vereinigungen, die
nicht beabsichtigen, sich auf dem Feld der klassischen Kriminalität zu tummeln,
strafrechtlich zu verfolgen, und zwar, wenn die Vereinigung plant, Anschläge zu
verüben, Selbstmordattentate auszuführen, Aktentaschen unter Schreibtische zu
stellen, usw. Solche schwerwiegenden Gefährdungen der Rechtsordnung in Gestalt
der Gruppenbildung werden aber durch die strafverschärfende Tat des § 129a StGB
erfasst, so dass für das Grunddelikt des § 129 StGB in der Tat fast nur die
scheinjuristiche Verfolgung des politischen Feindes übrigbleibt. Das ist unter
den Prämissen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des
Rechtstaatsprinzips unseres Grundgesetzes nicht legitim.
Bezeichnenderweise
wurde die PKK als Vereinigung im Sinne des § 129a StGB angesehen (BGH 3 StR
179/10). Man weiß, dass hierbei politischer Druck im Raume stand.
Zweitens:
Der
politische Charakter ergibt sich ferner daraus, dass die von der Staatsanwaltschaft
bemühten Strafvorschriften die vorgeworfene Tat als Lebenssachverhalt nicht
zutreffend erfassen.
Seite
31 der Anklageschrift legt dar, warum die Angeklagten verfolgt werden. Es heißt
dort:
„Die Angeschuldigten [Aufzählung der Namen] sowie weitere Personen waren bereits
Mitglieder der „Aktionsfront Mittelrhein“, welche spätestens im Jahr 2003
gegründet worden war. Es handelte sich um eine Kameradschaft, die unter Leitung
des Angeschuldigten ... das Ziel der Beseitigung der freiheitlich demokratischen
Grundordnung und der Errichtung eines nationalsozialistischen Staates in
Deutschland verfolgte. Diese Ziele sollten zunächst durch vielfältige
Aktivitäten, so insbesondere durch Veröffentlichungen auf der Homepage, durch
Verteilung von Propagandamaterial und sonstige öffentlichkeitswirksamen
Aktionen erreicht werden. Es wurden auch Schulungen durchgeführt und
Demonstrationen in Wunsiedel, Marienfels, Nastätten und anderenorts besucht.
…
Auch diese Gruppierung propagierte von
Anfang an die Wiederherstellung des nationalen Sozialismus. Das „Aktionsbüro
Mittelrhein“ strebte die Beendigung „der Besetzung des Deutschen Reiches“ und
die Errichtung eines Staates nach nationalsozialistischem Vorbild an.“
Was
somit beschrieben wird, also die geplante Herbeiführung eines Umsturzes, ist im
Strafrecht als Taterfolg des Hochverratsparagraphen 81 StGB beschrieben.
Diese
Strafvorschrift StGB lautet:
„Wer es unternimmt, mit Gewalt oder
durch Drohung mit Gewalt
1.
den
Bestand der BR Deutschland zu beeinträchtigen oder
2.
die
auf dem GG der BR Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen
wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe
oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“
Für
seine Erfüllung reicht es zwar einerseits aus, dass sich der oder die Täter nur
anschicken, den Umsturz herbeizuführen. Dass der Erfolg eintritt, ist bei dem
Unternehmensdelikt Hochverrat nicht erforderlich. Die Vorschrift setzt jedoch
andererseits gewalttätige Aktionen, und zwar gegen staatliche
Einrichtungen, voraus, die zum Erfolg führen sollen.
Das
wird vorliegend nicht einmal von der Staatsanwaltschaft behauptet. Die in der
Anklageschrift beschriebenen Bagatelledelikte wie Schmierereien oder
Sachbeschädigungen, die in linken Kreisen zum guten Ton gehören und vom Staat nicht
mit besonderer Intensität verfolgt werden (man denke gar an die
bürgerkriegsähnlichen Zustände während des G-20 Gipfels in Hamburg am 07. und
08.07.2017) oder selbst der Vorfall Dresden, können nicht ernsthaft als
geeignet angesehen werden, einen Umsturz herbeizuführen. Das reine Bestreben
der Errichtung einer NS-Herrschaft ist jedenfalls nicht nach § 81 StGB
strafbar. Daraus ist der Umkehrschluss zu ziehen, dass die Anklageschrift ein
strafrechtliches Nullum beschreibt: Nur wenn das geistige Vorhaben des
Zusammenschlusses, den die Anklageschrift Aktionsbüro Mittelrhein nennt, mit
denen im Hochverratsparagraphen beschriebenen Mitteln erreicht werden sollen
hätte, erfüllte es eine Strafvorschrift. In Bezug auf das in der Anklageschrift
beschriebene Gruppenziel verdrängt also § 81 StGB als lex specialis den § 129
StGB, der somit nicht mehr angewendet werden kann.
Daher
könnte die Tätigkeit des ABM allenfalls den vereinsrechtlichen Verbotsgrund des
Artikels 9, Absatz 2, 2. Alt. GG („gegen die verfassungsmäßige Ordnung“) verwirklicht
haben.
Diese
Vorschrift lautet:
„Vereinigungen, deren Zwecke oder deren
Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung
richten, sind verboten“ [H.d.V.]
Das
ist aber mit einem strafrechtlichen Tatbestand nicht gleichzusetzen, wie sich
aus dem Wortlaut klar ergibt, der die Tätigkeit einer Vereinigung, die den
Strafgesetzen zuwiderläuft von dem soeben genannten Verbotsgrund abgrenzt. Die
Verfassung kennt also die beiden gesonderten Verbotsgründe „gegen
Strafgesetze“ und „gegen die Verfassung“. In der Konsequenz dieser Systematik
ist ein Kampf gegen die Verfassungsordnung allein noch kein Indiz für
eine Strafbarkeit. Diese Zusammenhänge werden von der Anklageschrift verkannt.
Im Gegenteil: Indem die Anklage als Hauptziel der Angeklagten die Beseitigung
der FDGO und die Herbeiführung eines nationalsozialistischen Staates nennt,
ohne dafür die Tatbestandsvoraussetzungen des Hochverrates anzunehmen, erklärt sie
selbst ein zwar vereinsrechtlich rechtswidriges aber strafrechtlich nicht
relevantes Verhalten als Hauptzweck der Vereinigung. Konsequenterweise kann
dann die Begehung von Straftaten nur ein untergeordneter Zweck sein. Das aber
lässt den § 129 StGB entfallen. Die Anklage hebt sich also selbst auf.
Diese
Ansicht wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 129 StGB
geteilt. In dem richtungweisenden Urteil 3 StR 94/04 vom 21.10.2004 führt er
wie folgt dazu aus:
„Die Organisation der Vereinigung muss
auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert
sein.“
„Nur wenn die Mitglieder der Vereinigung
über das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten kommen könne, solche Taten
auch als Ziel und Zweck ihres Zusammenschlusses anstreben, erscheint die vom
Tatbestand vorgenommene Gleichstellung von Vereinigungen, deren Zwecke darauf
gerichtet sind, Straftaten zu begehen, mit solchen, bei denen bereits eine
ausgeübte Tätigkeit eben diese Ausrichtung hat, gerechtfertigt.“
Der
BGH gibt dabei ausdrücklich die noch im Urteil BGHSt 27, 325, 328 vertretene
Ansicht auf, es reiche aus, wenn sich die Mitglieder bewusst sind, dass es bei
der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann. So liegt es
hier: Nach den eigenen Worten der Anklageschrift war der Vereinigungszweck der
ABM ein Wandel des politischen Systems, eine neue Gesellschaftsordnung, deren
Herstellung schon deshalb keine Straftat sein kann, weil Art. 146 GG sie
ausdrücklich ermöglicht (es sei denn, man befleißigt sich dazu der Mittel des §
81 StGB, s.o.).
Ein
sodann folgender Vorwurf reicht ans Absurde. Auf Seite 32 der Anklageschrift
heißt es:
„Der Bundesrepublik Deutschland wurde
vorgeworfen, die verfassungsmäßige Ordnung, insbesondere die Bindung der Gesetzgebung
an die verfassungsmäßige Ordnung sowie die Bindung der vollziehenden Gewalt und
der Rechtsprechung an Gesetz und Recht nicht einzuhalten.“
Unter
strafrechtlichem Blickwinkel ist nicht nachzuvollziehen, was ein solcher Passus
in einer Anklageschrift zu suchen hat. Man kann den erörterten Vorwurf
wahlweise als Besorgnis um den Bestand der Republik oder auch als Kritik an
ihr, weil sie sich an die eigenen Maßstäbe nicht hält, auslegen. Wenn man sie
deshalb als illegitimen Staat sehen sollte, wäre das legitim. Das ist aber eine
politische Frage, die nicht vor eine Strafkammer gehört.
Schließlich
hat auch die bisherige Hauptverhandlung selbst gezeigt, worum es im eigentlichen
geht.
So
verkam die Vernehmung der Zeugin S vom Bündnis Remagen in der
Hauptverhandlung vom 20.05.2015 zu einem Vorfall am Friedensmuseum Remagen am
24.09.2011 (vgl. Bl. 4816 der Sachakte) zu einer reinen geschichtspolitischen
Debatte über die Zahl der in den Rheinwiesenlagern umgekommenen deutschen
Soldaten und Zivilisten. Dabei wurde erkennbar, dass genau das, nämlich die zur
herrschenden und teilweise verordneten Geschichtsauffassung in der BRD im
Gegensatz stehende Auffassung der Angeklagten bzw. eines Teils davon hauptsächlicher
Teil der Gefahr ist, die es zu bekämpfen gilt.
Schon
frühzeitig in der Hauptverhandlung hatte die Vernehmung des Zeugen K aufgezeigt, wo der Kern des Verfahrens zu suchen ist.
Seine
auf mehrere Verhandlungstage in den Monaten Juni und Juli 2013 verteilte
Aussage war hinsichtlich der strafprozessualen Vorwürfe gegen die Angeklagten
nahezu unerheblich. Der Zeuge konnte lediglich bezüglich des Vorfalles am
24.05.2011 (eine nicht strafbare Ausspähaktion) am Jugendbahnhof Remagen
Angaben machen und diesbezüglich unergiebige. So wusste er zwar zu berichten,
durch Blicke eingeschüchtert worden zu sein, nicht aber die Personen zu
benennen, von denen diese massiven Angriffe ausgingen. Ansonsten waren die
Aussagen dürftig und schon deshalb fragwürdig, weil Herr K, als jemand,
der sich beruflich seit Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus befasst, der
zwei Jahre in einer linksextremen Partei organisiert war, war, darunter eine
Zeit lang Vorsitzender eines Kreisverbandes, dem Gericht erzählen wollte, dass
er regional tätige und bekannte Antifaschisten nicht kenne, dass er nicht
wisse, wer an Veranstaltungen teilgenommen hätte, bei denen er selbst Referent
war, dass er sich an den Inhalt seiner eigenen Ausführungen bei solchen
Veranstaltungen nicht mehr erinnern könnte und ähnliches mehr. Um so mehr
erging er sich in politischen Ausführungen, zum Beispiel zum/zur:
Antisemitismus: Herr K meinte ein Indiz dafür in der Verwendung des
Begriffes „Ostküste“ in dem Manifest des ABM zu erblicken.
Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Dies mag ein soziologisch berechtigtes
Kriterium sein, um Denkweisen zu ermitteln, aber Denkweisen sind nicht strafbar
(oder doch?). Im Übrigen konnte der Zeuge nicht erklären, was rechtes Denken
ist (in der HV vom 2.7.2013). Insofern muss er sich selbst vorwerfen lassen,
einem gruppenbezogenen Vorurteil zu unterliegen.
Geschichtsrevisionismus: An dieser Stelle gab der Zeuge, vor
allem in seiner ersten Vernehmung am 7.6.2013, ein eindrucksvolles Zeugnis,
worum es ihm und der ihn attestierenden Strafverfolgungsbehörde in Wahrheit
geht: falsche Ansichten zu kriminalisieren: Die Zahl der Toten, von denen die
Angeklagten in bezug auf die Rheinwiesenlager ausgehen (s.o.) mögen falsch
sein, andere Zahlen mögen der Wahrheit näher kommen (wobei der Zeuge
bemerkenswerterweise eingestand, selbst nicht zu wissen, welche Zahl stimmt;
also kann er auch nicht wissen, welche falsch ist), aber falsche Zahlen über
einen historischen Ablauf als Ausdruck von Extremismus zu verkaufen, ist
abwegig.
Drei-Säulen-Strategie: Die Erörterung dieses vom Zeugen, nicht
vom Gericht, eingeführte Thema gestaltete er besonders tendenziös. Zum einen
ist die Handlung nach der DSS eine Parteitaktik der NPD. Sie ungeprüft auf den
ABM anzuwenden, ist unzulässig. Sodann zum anderen zu behaupten, ihre
Gewalttätigkeit zeige sich in ihren Zielen, ist eine Falschbehauptung, die der seinerzeitige
Vorsitzende hätte unterbinden müssen: Was der Zeuge hier beschrieb, ist nichts
anderes, als ein von der Demokratie vorgesehener Vorgang: durch die Mittel der
Kundgabe, der Überzeugung und des Wahlkampfes die eigenen politischen Ziele
mehrheitsfähig zu machen. Der Zeuge trat übrigens in erstaunlicher Offenheit
auf einer Veranstaltung dafür ein, aus politischen Gründen das Verbot einer
rechtmäßigen und gemäß Artikel 8 GG mit Grundrechtsrang ausgestatteten
Kundgebung des ABM zu fordern (Rheinzeitung vom 14.12.2012).
Wenn
der Zeuge schließlich ohne Ironie behauptete, die Gewaltbereitschaft der Angeklagten
beispielhaft darin zu erkennen, dass der Angeklagte L auf einer
Veranstaltung linker Gruppen auftauchte und dadurch Unwohlsein erregte, wurde
vollends klar, was der Kern des Vorwurfes ist, den die Staatsanwaltschaft in
eine 926seitge Anklageschrift verpackt hat: politische Feindschaft.
Das
alles könnte noch weiter ausgeführt werden, etwa durch die gewundene Darbietung
politischer Meinungen des Zeugen und Parteifreundes des Vorsitzenden W, jetziger Polizeipräsident von Aachen, oder durch die Aufnahme einer
Kundgebung der sog. Unsterblichen am 09.11.2011 in Düsseldorf (Fallakte 26) in
den Katalog der angeklagten Taten.
Deshalb
mag der Prozess sich in den nächsten 337 Verhandlungstagen formal noch so
korrekt entwickeln, so fehlt es ihm dennoch an jedweder innerer, auf
Gerechtigkeit zielender, Legitimität.
Dr.
Björn Clemens, RA