Koblenzer Reflexionen
Sieben Jahre Mammutprozess Aktiosbüro Mittelrhein
Am 20. August 2019 jährt sich zum siebten Mal der Beginn des legendären Strafprozesses Aktionsbüro Mittelrhein vor der Staatsschutzkammer am Landgericht Koblenz. Seinerzeit, am 20. August 2012, sagte der damalige Vorsitzende Richter, Hans-Georg Göttgen, dieses Verfahren suche seinesgleichen und werde es nicht finden; ein Satz der sich mehr als einmal bewahrheitet hat. Für meinen Mandanten und mich hat es am Dienstag, den 13. August geendet. Gericht und Staatsanwaltschaft haben sich meinen immer wieder vorgetragenen Argumenten angeschlossen und das Verfahren nach § 153 Strafprozessordnung wegen Geringfügigkeit eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse; im Gegenzug verzichtet er auf eine Entschädigung für 22 Monate Untersuchungshaft. Nachdem die wenigen verbliebenen Tatvorwürfe, die gegebenenfalls noch zu einer Verurteilung hätten führen können, gegenüber der langen Verfahrensdauer und der erlittenen U-Haft außerhalb jeden Verhältnisses gestanden hätten, war das ein sachgerechtes Ergebnis. Nun kann man natürlich fragen, warum es sieben Jahre dauern musste, bis sich diese Einsicht bei Gericht durchsetzte. Es wäre jedoch ein gedanklicher Kurzschluss, zu glauben, dass das ohne jahrelange beharrliche Verteidigertätigkeit früher oder überhaupt zu erreichen gewesen wäre. Das liegt an dem politischen Charakter des Prozesses, wie er aus den Worten des rheinland-pfälzischen Innenministers Lewentz vom 14. März 2012, einen Tag nachdem 25 der ursprünglich 26 Angeklagten festgenommen wurden, spricht:
„Also wir haben das zusammengetragen,
und wir wollten ja auch nicht einzelne herausholen, sondern dieses gesamte
„Aktionsbüro Mittelrhein“ zerschlagen. Das ist uns gestern gelungen. Und ich
glaube, ab und an muss man ein wenig zuwarten, damit man mit Stumpf und Stiel
ausrotten kann. Und wir haben da gestern einen harten Schlag geführt.“
Es
sollte also zerschlagen und mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Diese
Wortwahl würde bei Facebook wahrscheinlich zur Sperrung des Profils führen. Das
korrespondiert jedoch mit dem allerersten Dokument aus der inzwischen auf über
16000 Seiten angewachsenen Hauptakte: einer Pressemitteilung der Linksjugend!
Politische Vorwürfe
Die 926seitige Anklageschrift, die jene aus dem NSU-Verfahren um fast 400 Seiten an Zahl übertraf, nahm diesen Faden auf und erhob zahlreiche politische Vorwürfe, die sich dahingehend zusammenfassen lassen, dass man den mutmaßlichen Mitgliedern des Aktionsbüros Mittelrhein anlastete, in Deutschland eine nationalsozialistische Herrschaftsordnung begründen zu wollen. Unter der Bevölkerung sei darüber eine „große Beunruhigung“ eingetreten, die eine „Mobilisierung der demokratischen Kräfte“ zur Folge gehabt hätte. Das juristische Problem, das hierbei auftrat, besteht darin, dass ein solcher Verfassungsumsturz nur, und zwar als Hochverrat, strafbar ist, wenn er gewalttätig erreicht werden soll. Das politische Ziel der Abschaffung des Grundgesetzes kann zwar ein Vereins- oder Parteienverbot begründen, aber eben keine Straftat.
Daher
musste das Konstrukt einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB bemüht
werden, um die Gruppe als solche juristisch zu belangen, ein klarer Fall des
Missbrauchs des Strafrechts für politische Zwecke. Hierfür wurden zahlreiche
Einzelvorkommnisse aus den Jahren 2009 bis 2011, von Sachbeschädigungen etwa in
Gestalt von Sprühaktionen oder beschädigten Fenstern, über kleinere
Körperverletzungen bis hin zu behaupteten oder vorgekommenen
Landfriedensbrüchen in den Katalog der angeblich organisatorisch geplanten
Straftaten aufgenommen. Selbst eine Kundgebung der sog. Unsterblichen im
November 2011 in Düsseldorf musste herhalten, um als Verstoß gegen das
Vermummungs- bzw. Uniformverbot angeklagt zu werden.
Der
politische Charakter kam in diversen Zeugenaussagen zum Vorschein. Ein
professioneller Bekämpfer des Rechtsextremismus konnte seine kruden Thesen, die
wenig Bezug zu den Anklagevorwürfen hatten, genau so vortragen, wie der
derzeitige Polizeipräsident von Aachen, damals noch Referatsleiter
Verfassungsschutz im Innenministerium von NRW, oder eine Dame von einem
Remagener Bündnis, das Anstoß an der geschichtlichen Aufarbeitung der
Rheinwiesenlager durch Personen im Umfeld des ABM nahm. Diese politische
Arbeit, die auch einen jährlichen Trauermarsch in Remagen umfasst, nahm in der
Hauptverhandlung breiten Raum ein.
Angesichts dessen blieb nicht aus, dass die Hauptverhandlung, die nach zweimaligem Aussetzen in drei Etappen über bislang 371 Verhandlungstage führte, zahlreiche Besonderheiten aufwies:
Ein Verfahren, das seinesgleichen sucht, aber nicht findet
Mit
zunehmender Verfahrensdauer veränderte der Prozess seinen Charakter. Denn, wie
in jedem Strafverfahren, drohten den Angeklagten im Falle der Verurteilung die Prozesskosten
auferlegt zu werden, von denen schnell erkennbar wurde, wie exorbitant sie sein
würden. Anfänglich 52 Pflichtverteidiger, hunderte von Zeugen, die ursprünglich
hohe Zahl an eingesetzten Justizwachtmeistern usw. führten schnell in sechs-
bis siebenstellige Höhen. Ab einem gewissen Punkt kehrte sich diese Bedrohung
von den Angeklagten gegen den Staat, nämlich als die Kosten so gestiegen waren,
dass die Angeklagten darüber Privatinsolvenz würden anmelden müssen. Es ist der
gleiche Mechanismus wie in dem Kalauer von den Schulden und der Bank: Hast Du
50.000,- Euro Schulden, hast Du ein Problem; hast Du fünf Millionen Euro
Schulden, hat Deine Bank ein Problem. Von da an, etwa ab Mitte 2014, konnten
die Angeklagten mit der Kostenfolge nicht mehr beeindruckt werden. Als dieser
Punkt erreicht war, befand sich auch kein Angeklagter mehr in
Untersuchungshaft. Im Übrigen begann die Länge der Verfahrensdauer die
Straferwartungen immer weiter zu drücken. Somit verkam der Prozess mehr und
mehr zum Selbstzweck, zumal sich abzuzeichnen begann, dass der Vorsitzende
Richter aus dem Dienst scheiden würde, bevor er abgeschlossen werden konnte und
es keinen Nachfolger mehr gab. Deshalb musste der Prozess im April 2017
zunächst ausgesetzt werden, bevor er wegen überlanger Dauer eingestellt wurde
Da die Staatsanwaltschaft gegen diesen sinnvollen Abschluss erfolgreiche
Beschwerde zum OLG einlegte, musste er ab Oktober 2018 komplett neu aufgerollt
werden.
Für
die Verteidiger bedeutete die nie dagewesene Konstellation eine massive
Umstellung des Kanzleialltags. Bei drei Verhandlungstagen in der Woche dreht
sich praktisch alles um diesen einen Prozess: er muss nicht nur regelmäßig
juristisch, sondern auch logistisch vorbereitet werden, von der Anfahrt bis zur
Bereitstellung der Bekleidung. Die Abwesenheit in der Kanzlei über weite Teile
der Woche führt zu Schwierigkeiten bei der Bearbeitung anderer Fälle und zu
Mandatsverlusten. Außerdem müssen fast in jedem anderen Verfahren Termine
jongliert werden. Dem steht positiv eine ungewöhnliche kollegiale
Zusammenarbeit gegenüber. Denn die meisten Angeklagten waren ja dem gleichen
Ziel verbunden, nicht als kriminelle Vereinigung gelten zu wollen. Der
Strafverteidiger ist heute noch weitgehend Einzelkämpfer, zumal ihm die
Strafprozessordnung untersagt, in einem Verfahren mehr als einen Angeklagten zu
verteidigen. Deshalb beschränkt sich in einem „normalen“ Prozess die
Zusammenarbeit meistens auf Abgleichung der Rechtsansichten o.ä. Hier, in
Koblenz wurden stattdessen Anträge gemeinsam erörtert und ausgearbeitet,
Strategien abgesprochen, Rechtsfragen ausgelotet. Zahlreiche Stunden verbrachte
man in fachlichen Diskussionen. Außerdem fährt bzw. fuhr man auch nicht
unbezahlt nach Koblenz…
Schließlich
kommen in einem solchen Umfangsverfahren auch ganz andere prozessuale Mittel
für die Verteidigung in Betracht, wie Befangenheitsanträge, Aussetzungsanträge,
Beanstandungen von verfahrensleitenden Verfügungen des Vorsitzenden usw. Auch
insoweit brauchten die Verteidiger auf den Kostenfaktor keine Rücksicht zu
nehmen. Denn wenn ein Befangenheitsantrag normalerweise dazu führt, dass die
Zahl der Verhandlungstage von einem auf zwei steigt, hat das ein erheblich
größeres Gewicht, als wenn sie von 301 auf 302 steigt (s.o.) Das heißt aber
nicht, dass die Anwälte für die Länge des Verfahrens verantwortlich waren. Wer
auf 926 Seiten zusammenschreibt, was er den Angeklagten politisch vorwirft,
darf sich nicht wundern, wenn die Gegenwehr entsprechend ausfällt, und einen
kurzen Prozess fordert nur, wer die Rechte der Beschuldigten missachtet. In
einem Umfangsverfahren, und nur darin, bildet sich übrigens der Verteidiger
erst zum Könner; keiner der nichts gelernt hätte.
Fast
zwangsläufig traten im Laufe der Zeit einige anekdotische Einzelvorfälle ein:
- Ein Schöffe schied wegen Befangenheit
aus, nachdem er Richtern und Staatsanwälten, nicht aber den Verteidigern,
jeweils einen Schokoladennikolaus geschenkt und aufs Pult gestellt hatte.
- Ein Verteidiger präsentierte einen
Antrag in Gedichtform.
- - Ein Verteidiger stieg auf den Tisch,
weil er angeblich von seiner Position nichts sehen konnte.
- Zwei Verteidiger boten dem Gericht
Weihnachten 2013 an, für drei Tage ihren Mandanten in der Untersuchungshaft zu
vertreten.
- Der Saal musste einmal wegen eines
Buttersäureanschlags und einmal wegen eines Feuerwehreinsatzes in anderem
Zusammenhang geräumt werden.
- An der Zimmertür des ursprünglichen
Vorsitzenden fand sich unter mysteriösen Umständen ein Aufkleber mit einem
Burschenschafter im Verbotsschild….
Zwei
Mal wurde das Verfahren eingestellt (das zweite Mal wegen möglicher Fehler bei
der Gerichtsbesetzung), zwei Mal komplett von vorne begonnen. Von ursprünglich
26 Angeklagten waren zum Schluss noch neun im Verfahren; einige wurden zuvor
verurteilt, gegen einige wurde es gleichfalls eingestellt, es gab einen
Freispruch. Eine weitere Einstellung folgte am 14. August, eine Abtrennung
steht bevor.
Am
Jahrestag des Mauerbaus endete es für meine Mandanten und mich mit einem
hervorragenden Ergebnis. Die Staatsanwaltschaft wollte dem jetzigen
Familienvater für die politische Arbeit seiner Jugend das Etikett der
Strafbarkeit anhängen. Das ist ihr nicht gelungen. Er geht, ohne verurteilt zu
sein, und ohne Kostenlast aus dem Gerichtssaal 128 des Koblenzer Landgerichts
und hat wieder eine Lebensperspektive. Dass man in einer solchen
außergewöhnlichen Situation auch zu ihm nicht ein ausschließlich
professionelles Verhältnis findet, dürfte nachvollziehbar sein, genauso wie ein
wenig Wehmut, dass die wichtigste, schwierigste und vielleicht beste Leistung
des Lebens nun der Vergangenheit angehört. Aber wenn ein Sieg am Ende steht,
dann kann und soll man aufhören.
Wünschen
wir den verbliebenen sechs das Beste.
LG
Koblenz 2090 Js 29752/10.12 Kls