Wie erziele ich einen Freispruch ?
Die Frage nach dem Freispruch
stellt sich nicht nur der Angeklagte, sondern, mehr noch, der Verteidiger. Für
den Angeklagten ist es womöglich gar
keine Frage, sondern eine Erwartungshaltung. Der Verteidiger hingegen muss auf
Basis des Prozeßstoffes, der immerhin eine Anklage zur Folge hatte, die
Instrumente der Strafprozeßordnung so einsetzen, dass der Fall eine günstige
Wendung nimmt. Wenn in einem Fall, wie dem hier zu erörternden, ein Spruch, der
sich um die Themen „Juden“ und „Schornstein“ rankt, Gegenstand des Vorwurfes
(Volksverhetzung - § 130 Absatz 1 StGB) ist, kommt eine psychologische
Hemmschwelle der Richter hinzu. Was also tun:
Die Beweislage war immerhin
unklar, weil die wirklich belastenden Aussagen erst vier Monate nach dem
Geschehen, das im Wesentlichen aus einer Pöbelei an einer Bushaltestelle
bestanden hatte, getätigt wurden - und zwar unter wohlwollender Stichworthilfe
der Polizei. Dann sind, abgesehen von detaillierter Befragung (wer hat genau
was wann gesehen; war der A betrunkener als der B, war er es überhaupt oder
doch nur der B usw., usf.) zwei Dinge zu tun: erstens ausgedehnte Beweisanträge
zu stellen und zweitens jeden Vorhalt der polizeilichen Vernehmung zu
beanstanden. Denn in der mündlichen Verhandlung geht es nicht darum, vom Zeugen
lediglich bestätigt zu bekommen, wie er vor der Polizei ausgesagt hat, so gerne
sich die Gerichte darauf zurückziehen. Vielmehr geht es darum, zu erforschen, ob
sich der Zeuge noch an die Tat erinnern kann (und an was), und nicht, ob er
sich noch an seine spätere Aussage erinnert. Erst recht muss verhindert werden,
dass die Wiederholung der schriftlichen Aussage die Erinnerung des Zeugen an
das Geschen ersetzt. Der Verteidiger darf also nicht zulassen, dass nur diese
schriftliche Aussage noch einmal abgehakt wird, so bequem es für das Gericht
auch sein mag. Er muss vielmehr dafür sorgen, dass um jeden einzelnen Satz des
Vorhaltes gerungen wird. Zwar zieht sich das Verfahren auf diese Weise in die
Länge, aber wir wollen ja keinen kurzen Prozeß! (Auch wenn vielleicht der eine
oder andere Verfahrensbeteiligte sich genau diesen wünschen mag.) Noch mehr
zieht er sich in die Länge, wenn der Verteidiger erkennen lässt, dass das, was
die (in diesem Fall allesamt jugendlichen) Zeugen im April vor der Polizei
erzählt haben, vielleicht einen anderen Inhalt haben könnte, als das, was sie
in frischer Erinnerung am Tag eins nach dem Vorfall anderen berichteten, ihren
Eltern beispielsweise. Macht bei sechs Zeugen zusätzlich zwölf weitere.
Abgesehen davon, dass es die Gewissenhaftigkeit verlangt, die Zeugen zu
benennen, trägt es dazu bei, dass das Gericht die Lust am Verfahren verliert,
was der Verteidiger dadurch weiter steigern kann, dass er vorschlägt, für die
erforderlichen fünf bis sechs Fortsetzungstermine die Samstage mit
einzubeziehen. Dann könnte er einen Punkt erreicht haben, an dem sich auch das
Gericht darauf besinnt, dass die Beweislage unklar ist. Und das selbst dann,
wenn es um Schornsteine und Juden geht. Am Freitag, dem 20.11.2015 sah es vor
dem AG Bad Berleburg selbst die Staatsanwältin ein und forderte das, was sich
der Angeklagte immer wünscht und der Verteidiger manchmal erreicht - jedenfalls,
wenn er etwas taugt - und was dann auch kam: Freispruch.
AZ: AG Bad Berleburg 7 Ds 21 Js
37/15-137/15