Kein faires Verfahren: Rechtsstaatsdefizite im Fall Lübcke
Verfassungsbeschwerde und Verwaltungsklage gegen den BGH
Der Fall Lübcke ist ein Paradebeispiel für ein politisch instrumentalisiertes Ermittlungsverfahren. Von Anfang ging es Medien und Öffentlichkeit vornehmlich darum, in sensationsheischender Weise die angeblich rechtsextreme Einfärbung der Tat groß herauszustreichen, vermeintliche terroristische Strukturen aufzudecken, NSU-Bezüge zu finden oder zu konstruieren usw. Möglicherweise auch wegen der somit erzeugten Erwartungshaltung sind im bisherigen Ermittlungsverfahren rechtsstaatliche Defizite aufgetreten, die man nur als bedenklich bezeichnen kann.
Der Tatverdacht gegen den der Beihilfe Beschuldigten H. stand und steht von Anfang an auf schwachen Füßen, so dass er im August Haftbeschwerde einlegte. Um sie besser zu begründen, beantragte der Verteidiger erweiterte Akteneinsicht, die ihm mit der merkwürdigen (sinngemäßen) Begründung verweigert wurde, der Beschuldigte könne sich doch zum Tatvorwurf einlassen. Darin stecken gleich zwei Verstöße gegen das Rechtsstaatsgebot: erstens unterläuft eine solche Entscheidung das Recht des Beschuldigten zu jeder Zeit zu schweigen und gefährdet seine prozessuale Position; denn Einlassungen im Ermittlungsverfahren können in der Hauptverhandlung verlesen werden. Zweitens beschneidet sie die Informationsrechte der Verteidigung, die unerlässliche Voraussetzung sind, um sich gegen den Tatvorwurf angemessen zur Wehr setzen zu können, und zwar in jedem Verfahrensstadium.
Teilnahme an AfD-Kundgebungen als Verdachtsmoment?
Inhaltlich enthalten die Ausführungen in dem Beschluss, der sodann am 22. August 2019 erging und den Beteiligten am 14. September, also mehr als drei Wochen später (!) zugestellt wurde, folgerichtig einige befremdliche Aussagen. So soll sich der Tatverdacht in Gestalt der ohnehin fragwürdigen Rechtsfigur der psychischen Beihilfe jetzt unter anderem dadurch erhärten, dass die Beschuldigten gemeinsam politische Veranstaltungen besucht hätten. Zwar vermeidet der BGH sie wörtlich beim Namen zu nennen, jedoch ergibt sich aus der Stellungsnahme der Bundesanwaltschaft zur Haftbeschwerde, dass es sich dabei vorwiegend um AfD- Kundgebungen o.ä. handelt. Wer zur AfD (oder Pegida) geht, kann sich nach dieser Logik also der Beihilfe zum Mord verdächtig machen. Hierin sieht der Beschuldigte einen Eingriff in sein Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art 8 GG verletzt. Aufgrund dessen und der verweigerten Akteneinsicht hat er Verfassungsbeschwerde, mit Ziel der Aufhebung des BGH-Beschlusses und neuen Entscheidung seiner Haftbeschwerde, eingelegt. (BVerfG 2 BvR 1822/19)
Vorverurteilung des Beschuldigten: Veröffentlichung des BGH-Beschlusses im Wortlaut
Doch damit nicht genug: Im Oktober musste der Beschuldigte feststellen, dass der o.g. Verwerfungsbeschluss (BGH StB 21/19) in die offizielle Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofes eingestellt wurde. Dabei werden zahlreiche Details aus dem Ermittlungsverfahren mitgeteilt. Diverse Sachverhalte, aus denen sich der Tatverdacht speisen soll, werden seitdem, unter anderem im Spiegel, öffentlich breitgetreten. Dass eine solche Veröffentlichung geeignet ist, den Beschuldigten im Vorfeld zu verurteilen und ihn dadurch im späteren Prozess zu benachteiligen, liegt auf der Hand. Genau aus diesem Grunde ist sie gemäß § 353 d Ziffer 3 StGB strafbar. H hat den Bundesgerichtshof deshalb beim Verwaltungsgericht Karlsruhe auf Entfernung verklagt. (Az. 3 K 6973/19)
Ungeachtet dessen, wie das Bundesverfassungsgericht bzw. das VG Karlsruhe nun entscheiden mögen: dass unter solchen Umständen im weiteren Fortgang kein faires Verfahren zu erwarten ist, ist zu befürchten.