Dienstag, 17. Januar 2017

Parteiverbotsverfahren: BVerfG erhebt die Auflösung des Volkes zum Verfassungsprinzip

Fragwürdiges Urteil aus Karlsruhe - ein erster Kommentar



Das Bundesverfassungsgericht hat in einem am 17.01.2017 verkündeten Urteil den Verbotsantrag des Bundesrates gegen die NPD abgelehnt, gleichzeitig aber ihre Verfassungsfeindlichkeit hervorgehoben. Jedoch fehle es daran, dass sie darauf „ausginge“ die FDGO zu beseitigen, wie es in Art. 21 Absatz 2 des Grundgesetzes gefordert wird. Das macht das Bundesverfassungsgericht an der Bedeutungslosigkeit der Partei fest. Von ihr gingen daher keine Gefahren für die FDGO aus.

Diese Argumentation ist doppelbödig und widersprüchlich. Denn das Tatbestandsmerkmal „darauf ausgehen“ betrifft die innere Zielsetzung einer Partei, auf die das Gericht zuvor in langen Ausführungen eingegangen ist. Diese Zielsetzung verstoße u.a. gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip. Von den Zielen als innerem Beweggrund ist die äußere Erfolgsaussicht, diese Ziele umzusetzen, jedoch strikt zu trennen. Das ist noch nicht einmal eine juristische sondern eine logische Frage. Insbesondere, wenn, wie das Bundesverfassungsgericht zutreffenderweise betont, ein Parteiverbot ein präventiver Verfassungsschutz ist, kann es nicht darauf ankommen, wie bedeutsam eine Partei im Moment ist. Denn sonst müsste man erst abwarten, bis sie gefährlich ist, um von der dann bestehenden Gefahr, auf die Verfassungswidrigkeit der Ziele zurückzuschließen. Präventiver Verfassungsschutz heißt demgegenüber, gar nicht erst zuzulassen, dass eine verfassungsfeindliche Partei bedeutsam wird. Es steht zu vermuten, dass die Karlsruher Richter diesen Winkelzug nur unternommen haben, um einem möglichen Sieg der Partei vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zuvorzukommen, ohne darauf verzichten zu müssen, ihr die Verfassungsfeindlichkeit ins Stammbuch zu schreiben.

Ein zentraler Punkt hierbei war die Feststellung, dass der ethnische Volksbegriff der Partei gegen die Menschenwürde aus Art. 1 des Grundgesetzes verstoße. Die Frage, wer zum Volk gehört, wird in der Soziologie und der Rechtswissenschaft umfassend behandelt und höchst unterschiedlich beantwortet. Indem das Bundesverfassungsgericht das Menschsein als einzige Bezugsgröße zulässt, reduziert es das Staatsvolk nicht nur auf die Inhaberschaft des Staatsbürgerrechts sondern verzichtet auch auf jede Voraussetzung hierfür. Denn Menschen sind Menschen. Um Deutsche zu werden, müssen sie nach dieser Diktion keine weiteren Voraussetzungen erbringen, sondern lediglich reine Formalismen erfüllen, beispielsweise lange genug in der Bundesrepublik leben.  Ein bestimmtes Volkstum ist demnach genau so obsolet, wie ein bestimmtes Bekenntnis religiöser oder kultureller Art. Der inhaltliche Begriff „Deutscher“ hat sich damit erledigt. Es gibt fortan nur noch Bundesbürger. Damit hat das Bundesverfassungsgericht die Auflösung des Volkes, drastischer ausgedrückt, den Volkstod zum Verfassungsprinzip erhoben.   

Die von ihm wahrscheinlich nicht erkannte Dialektik dieses Argumentation besteht in ihrem genuin biologistischen, man kann fast sagen, zoologischem Ansatz. Denn, wenn es außerhalb des blanken  „Menschentums“  nichts gibt, an das ein Staat Rechtsfolgen knüpfen können soll, weder Abstammung, noch Schicksal oder Geschichte, weder Sprache, noch Kultur, noch Religion, verschwinden alle Errungenschaften, die den Menschen über seinen Animalismus erheben. Was bleibt dann übrig außer einem federlosen Zweifüßer? Somit zerstört das Verfassungsgericht letztlich auch den Begriff des Menschen selbst.

Dieser Kommentar basiert auf dem mitgehörten mündlichen Urteil. Eine ausführliche und ggfs. differenzierte Betrachtung kann nach vollständiger Lektüre der schriftlichen Fassung erfolgen.   

Dienstag, 10. Januar 2017

Die Profi-Hetzer 

Oder: wie die L-Presse den Rechtsstaat untergräbt



Anwalt und Medien war schon immer ein Thema. Im Zeitalter der Stimmungspresse ist es ein besonderes Thema.

„Achtung: Drogenanwalt verteidigt Grünen-Politiker“, „Skandal: Pädophilenanwalt vertritt Abgeordneten der Linkspartei“, „Vorsicht: Verteidiger vertrat schon Türken.“ Solche reißerischen Überschriften liest man in der bundesdeutschen Qualitätspresse genau so wenig wie etwa folgende Zeile: „Der Ausländerbeirat wird in dem Rechtsstreit von jenem zweifelhaften  Advokaten vertreten, der ansonsten abgelehnten und kriminellen Scheinasylanten eine Duldung auf Kosten des deutschen Steuerzahlers verschafft.“ Dass solche Pressepolemik ausbleibt, ist zu begrüßen. Denn der Rechtsanwalt vertritt nicht die inhaltlichen Anliegen des Mandanten sondern dessen prozessuale Rechte, die ein juristischer Laie nicht wahrnehmen kann. Davon abgesehen, sind Advokat und Partei zu trennen. Der Anwalt sollte daher auch nicht der Versuchung erliegen, sich zum politischen Sprachrohr des Mandanten herzugeben, denn zu seinen Aufgaben gehört es auch, ihm gegenüber unbequeme Wahrheiten auszusprechen, beispielsweise wenn ein Rechtsfall keine Aussicht auf Erfolg hat. Das setzt eine bestimmte Distanz zwischen Anwalt und Mandanten voraus. Je mehr sie verloren geht, weil der Anwalt zum Beispiel mit der Sache des Mandanten zu sehr sympathisiert, desto mehr verliert er den unabhängigen Blick auf die juristische Materie. Diese sind zwar Binsenweisheiten, die aber nicht umwahr werden, indem man sie sich einmal mehr vor Augen führt.

Das heißt natürlich nicht, dass ein Advokat die Überzeugungen des Mandanten ablehnen oder sich außerhalb seines Berufes als politisches Neutrum verhalten sollte. Wie es in einer Leserzuschrift im Anwaltsblatt 1/2017, S. 8 im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen heißt, kann „Schweigen oder neutral bleiben ... für unsere Berufsgruppe keine Option sein.“ Es ist viel mehr sinnvoll, wenn der Anwalt in angemessenem Maße mit dem Begehren des Mandanten konform geht, will er nicht zum rechtstechnokratischen Zyniker werden; aber eben nur in dem Maße, dass er die Sympathie der Sachlichkeit nicht unterordnet.  



Seine Unabhängigkeit als Organ der Rechtspflege verliert der Anwalt indessen nicht nur durch eigenes Ungeschick, sie kann auch systematisch von berufener und insbesondere unberufener Seite untergraben werden. Das geschieht, wenn bestimmte Kreise, beispielsweise jene Teile der Presse, die sich den Namen Lügenpresse immer wieder eifrig erarbeiten, die Trennung zwischen dem Organ der Rechtspflege und der Person, die dieses Amt ausübt, systematisch ignorieren und  über beide ein propagandistisches Gemisch aus Halbwahrheiten und Diffamierungen ergießen, die alles andere überdecken soll. So heißt es dann z. B.: „Der verteidigte schon Nazis“. Als nächstes folgt der Begriff „Nazianwalt“ oder besser gleich der „Nazi“. Nichts kommt dem gleich. Einen Kinderschänder darf man natürlich verteidigen, einen Grünen auch und einen  grünen Kinderschänder sowieso, aber einen AfD- oder sogar NPD-Mann? Das Recht auf anwaltlichen Beistand als solches behauptet der Hetzprofi selbstverständlich nicht anzutasten, im Grundsatz zumindest nicht. Jeder hat in unserem freien Rechtsstaat das Recht, sich angemessen verteidigen zu lassen, nur darf dabei der demokratische Konsens nicht gefährdet werden. Also hat der NPD-Mann sich gefälligst aus dem Ghetto der Szeneanwälte zu bedienen, und der Szeneanwalt seine Dienste gefälligst nur dem NPD-Mann anzubieten. Demokraten kauft nicht bei... Und wenn die Wahrheit nicht so ist, wie der Journalist sie gerne hätte, wird sie eben zurechtgebogen. Seine perfide Logik zielt in zwei Richtungen: Zum einen auf den Anwalt, der aus Angst um seinen Ruf bestimmte Mandate nicht annimmt und zum anderen auf bestimmte Rechtssuchende, die sich aus Angst, sich mit dem „falschen“ - zwar sachkundigen aber politisch kontaminierten - Anwalt selbst zu schaden, auf seine eigentliche Wahl verzichtet. Somit untergräbt die Polemik sehr direkt und zielgerichtet das in Art. 19 IV GG verortete Rechtsschutzprinzip, zu deren unverzichtbaren Bestandteilen auch die freie Advokatur gehört und zwar für beide Teile. Damit untergräbt die Lügenpresse den Rechtsstaat selbst.