Dienstag, 30. Mai 2017


Überlange Verfahrensdauer

LG Koblenz stellt Prozess um Aktionsbüro Mittelrhein ein


Das Landgericht Koblenz hat heute den am 20. August 2012 begonnenen und mithin nahezu fünf Jahre geführten Strafprozess gegen mutmaßliche Angehörige des sog. Aktionsbüros Mittelrhein (ABM) wegen überlanger Verfahrensdauer eingestellt (Az. 2090 Js 29752/10.12 Kls). Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft eine Woche Frist hat, um eine sofortige Beschwerde einzulegen. Darüber müsste das OLG Koblenz entscheiden.

Das Gericht stellt zurecht darauf ab, dass bei der Frage der (Über-) länge nicht nur die bislang verstrichene Zeit zu betrachten ist, sondern auch die noch zu erwartende. Da das Verfahren derzeit ausgesetzt und nicht nur unterbrochen ist, müsste es vollständig von vorne beginnen. Auch wenn durch die Verringerung der bereits ausgeschiedenen Angeklagten und prozessuale Maßnahmen eine Straffung erreicht werden kann, dürften doch mindestens weitere drei bis vier Jahre gebraucht werden, um dann zu einem Abschluss zu kommen. 

Der Beschluss lässt an einigen Stellen recht deutlich die Verärgerung des Gerichts darüber erkennen, dass es den Prozess nicht beenden konnte. immer wieder wird den Angeklagten "Sabotage" vorgeworfen. Das ist aber verfehlt. Denn es kann niemand ernsthaft erwartet haben, dass sie aktiv an ihrer eigenen Verurteilung mitwirken. Der Strafprozessordnung sind solche Regungen nicht fremd. Daher kennt sie Instrumente, um ihnen entgegenzuwirken. Außerdem haben sie sich dem - politisch motivierten - Verfahren nicht freiwillig unterzogen. Es ist daher etwas seltsam, ihnen eine Blockadehaltung vorzuwerfen. Gleiches gilt für die Verteidiger, die ebenfalls in dem Beschluss kritisiert werden. Doch sollen sie vielleicht sagen: "Bitte verurteilen Sie meinen Mandanten schnell und hart."? 

Das Gericht muss sich daher selbst fragen, wie es schneller hätte vorankommen können. Vor allem aber muss sich die Staatsanwaltschaft und damit letztlich die Politik fragen, wie lange sie noch Strafverfahren politisch überfrachten will, um damit unliebsame Personen zu kriminalisieren. Hätte man das ABM-Verfahren von der politischen Thematik entkernt, wäre es zwar auch kein kurzer aber ein beherrschbarer Prozess geworden. Dann hätte man aber möglicherweise auf den eigentlichen Effekt, den man im Sinn hatte, verzichten müssen. Das kam nun vorerst als Bumerang zurück.

Im übrigen kommt der Einstellungsbeschluss auf einige bemerkenswerte Einzelbegebenheiten der letzten fünf Jahre zurück. Dazu zählt es meine Stellungnahme zu einem Antrag auf Abtrennung eines Singvogels. Sie lautete:



Was ich im Saale letztens hörte
Ein wenig mich doch leis empörte
Dem muß ich was entgegenstellen
Ich hoff der Vize wird nicht bellen

Mit Schmeichel kann ich nicht entzücken
Die Tränendrüse auch nicht drücken
Mich in den grauen Staub nicht werfen
Und auch den Rechtskampf nicht entschärfen

Erwartend daß Herr D. nicht weine,
versuch ich mich wie Heinrich Heine
denn des Gerichtes jüngstes Treiben
lässt sich nur mit Humor beschreiben

In einem Jahr konnt man erleben
Des hohen Rechtes wahres Streben
Doch steht nicht viel in den Bilanzen
Seht her im Großen und im Ganzen:

Wo Koblenz liegt im deutschen Lande
Gehts gegen kriminelle Bande
Mit Pomp und Mediengetöse
Bekämpft der Staatsanwalt das Böse

Wir traten häufig auf der Stelle
Die Zeugen kaum besonders helle
Der Hauptverdacht blieb ungekläret
Was offenkundig keinen störet

Und als das erste Jahr zu Ende
Da ruft ein Anwalt nach der Wende
Dort in der großen Staatsschutzkammer
Beklagt er seine Katzenjammer

Betrübter Stimmung gibt er kund
Sein Schützling leide wie ein Hund
Er stehe krankhaft unter Stress
Drum müss er raus aus dem Prozess

Die Lösung hat er schnell parat
Denn für des Jünglings Femetat
Man die gerechte Prämie kennt
Verfahrensteil wird abgetrennt

Zu rechter Zeit hinausgestiegen
Die Strafen lasset andre kriegen
Er hat doch wie erwünscht gesungen
In Unsrem Ohr hats schal geklungen

Denn ob er noch so furchtbar leidet
Zusammenhalt und Ehre meidet
Lasst mich ganz laut und deutlich sagen
Die Haft ist auch nicht leicht zu tragen

Darum verlang ich vom Gericht
Bewilligt seinen Antrag nicht
Bei Gott ist anderes zu tun
Und was das ist, das sag ich nun:

Mit diesem solln sie sich befassen
Die Sieben aus dem Knast entlassen
Allmählich ist es überzogen
Mit falschem Maß wird hier gewogen

Damit die Männer hinter Mauern
Nicht länger ohne Urteil kauern
Die Haft darf keine Stund mehr dauern
Sonst wird Justitia erschauern

Das, was ich also ernsthaft sprach
Erkennt der Name Volk als Schmach
Nach einem Jahr ists langsam Zeit
Wir fordern ein Gerechtigkeit!
  

Mittwoch, 17. Mai 2017

TATVORWURF GEISTIGE BRANDSTIFTUNG



zum vorläufigen Ende des Aktionsbüro-Mittelrhein-Verfahrens vor dem LG Koblenz


Dienstag, 2. Mai 2017

AB-MITTELRHEIN-PROZESS GEPLATZT


 Vorläufiges Ende einer Justizgroteske






Mit einem unspektakulären Beschluss endete am ersten Werktag des Wonnemonats Mai ein spektakuläres Gerichtsverfahren, wenigstens vorerst. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz hat das sogenannte ABM-Verfahren, bei dem der Tatvorwurf der kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB gegen zuletzt 17 von ursprünglich 26 Angeklagten im Mittelpunkt stand, ausgesetzt. Die wortkarge Begründung lautete:

„Die Hauptverhandlung wird gem. § 228 Abs. 1 Sattz1, 1. Alt. StPO ausgesetzt, da der Vorsitzende Richter nach den Bestimmungen des rheinland-pfälzischen Richtergesetzes mit Ablauf des 30.06.2017 wegen Erreichens der Altersgrenze zwingend aus dem richterlichen Dienst ausscheiden muss und auszuschließen ist, dass die Hauptverhandlung bis zu diesem Zeitpunkt zum Abschluss gebracht werden kann.“


Hinter den banalen Worten versteckt sich einer der bemerkenswertesten Vorgänge der jüngeren deutschen Justizgeschichte, ja man könnte fast von einer gigantischen Justizposse sprechen; eine Groteske war es alle mal. Wir erinnern uns:

Am 12. März 2012 (sic!) wurden mit großer medialer Begleitmusik über 20 meist junge Männer aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verhaftet, denen man vorwarf in Bad-Neuenahr-Ahrweiler ein „Neonazizentrum“, das sogenannte Braune Haus, betrieben zu haben, von wo aus ein nationalsozialistischer Umsturz geplant worden sei. So ähnlich fand sich dieser Vorwurf hernach in der 926seitigen Anklageschrift, die über etliche Seiten politisches Kampfvokabular enthielt. An Wahrheit steckte dahinter, dass sich in den Jahren zuvor einige Aktivsten zusammengefunden hatten, die sich mit verschiedenen politischen Fehlentwicklungen wie der Überfremdungspolitik oder mit geschichtlichen Verdrehungen nicht abfinden wollten, die seit Jahren dazu benutzt werden, das deutsche Volk am Pranger zu halten. Dazu gehörte das Verschweigen der vorsätzlichen Tötung deutscher Kriegsgefangener in den Rheinwiesenlagern oder auch die verharmlosenden Lügen um den Bombenterror beim Angriff auf Dresden im Jahre 1945. Offensichtlich reicht es im freiesten Staat, den es je auf deutschem Boden gab, in solchen ideologischen Fragen die Meinung der herrschenden in Frage zu stellen, um ins Visier der Staatsanwaltschaft zu geraten. Daher richtete sich die Kritik der Verteidigung von Anfang an gegen die Instrumentalisierung des Strafrechts für politische Zwecke, nämlich die Ausschaltung systemoppositioneller Personen. Natürlich konnte die Staatsanwaltschaft zahllose Einzeltaten aufführen, aber sie hielten sich oft im Bagatellebereich oder hatten kaum etwas damit zu tun, dass eine Gruppe von Leuten eine kriminelle Vereinigung gegründet hätten. Besonders entlarvend war der prozessuale Aufwand, der um eine abendliche Demonstration der sog. Unsterblichen in Düsseldorf im November 2011 betrieben wurde. In etlichen Verhandlungstagen sollte aufgeklärt werden, wie es dazu kam, dass etwa 100 Leute unter der Parole „Volkstod stoppen“ durch einen biederen Vorort zogen. Hier wurde offensichtlich, dass nicht kriminelles Unrecht sanktioniert, sondern Systemopposition kriminalisiert werden sollte.

Am 20. August 2012 begann die Hauptverhandlung vor der Staatsschutzkammer gegen die seinerzeit 26 Angeklagten. Sie zog sich von Beginn an schleppend in die Läge, hunderte von Telefonaten wurden abgehört, zahllose Zeugen befragt, und Immer wieder wurde die ergebnisorientierte Ermittlungsarbeit deutlich. Beispielsweise hatte eine Polizeikommission eine Straßenschlacht an einem linken Wohnprojekt im Februar 2011 von vornherein als „Angriff auf…“ eingestuft und andere Arbeitshypothesen unbeachtet gelassen. Der dahinterstehende Vorwurf des Landfriedensbruches war der schwerste Anklagepunkt.   

Nachdem im Laufe des Verfahrens neun Angeklagte ausgeschieden waren - gegen vier wurden kleinere Bewährungsstrafen verhängt, gegen die anderen wurde das Verfahren eingestellt - kam also nun für die anderen siebzehn das vorläufige Ende. Denn genauso grotesk wie das Verfahren ist die Konsequenz des nunmehrigen Platzens: Gegen die Verbliebenen muss von vorn begonnen werden. Ob und wie das allerdings kommt, steht in den Sternen.  Wir blicken nunmehr zurück auf etwa 340 Verhandlungstage, nicht mitgezählt weitere ca 20, die wegen Krankheit eines Angeklagten o.ä. nicht als Verhandlung zählten, die sich über nahezu fünf lange Jahre erstreckten. Damit war der ABM-Prozess wohl der umfangreichste der bundesdeutschen Justizgeschichte; um ein vielfaches länger als der Nürnberger Hauptprozesse, auch umfangreicher als der NSU-Prozess und länger als der Erste Weltkrieg. Anfänglich viel beachtet, versank er zuletzt im Vergessen. Er bescherte einige Possen, wie zum Beispiel einen Schöffen, der den Staatsanwälten Nikoläuse als Geschenk auf den Tisch stellte und daher wegen Befangenheit ausschied, einen Antrag in Gedichtform, die Bereitschaft dreier Verteidiger ihre Mandanten während der Weihnachstage in der U-Haft abzulösen und eine (inzwischen eingestellte) Anklage gegen einen Verteidiger, weil er in drastischen Worten auf die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen hingewiesen hatte – auch das klares Zeichen, was hinter diesem Prozess stand.


Vorläufiges Fazit: 



Der Versuch, das Strafrecht für politische Zwecke zu missbrauchen, ist vorerst gescheitert. Das verdankt sich der Standhaftigkeit der meisten Angeklagten, die sich nicht mit billigen Einlassungen an die Staatsmacht verkauften und der Beharrlichkeit der Verteidigung, die den Fehdehandschuh an jeder Stelle aufnahm, jedenfalls soweit es sich nicht um handzahme Gerichtsgünstlinge aus dem Koblenzer Kungelkreis handelte. Verteidigung stellt sich selbst in Frage, wenn sie sich zum politischen Sprachrohr der Angeklagten erniedrigt, aber sie gibt sich auf, wenn sie achselzuckend zusieht, wo das Recht instrumentalisiert wird, um politische Opposition zu bekämpfen. Dann kann es nur hundertprozentige Solidarität geben – um des Rechts willen. Es hat heute einen Etappensieg errungen. Hoffen wir, dass er ein endgültiger wird!