Montag, 24. April 2017

Tunnel am Landgericht - Bochumer Impressionen 


Wie jeden Morgen, soll am 24. April um 08.52 Uhr auf Gleis 17 des Düsseldorfer Hauptbahnhofes der ICE nach Berlin abfahren. Zwischenhalt Bochum. Und wie bei jeder Fahrt fahre ich zweiter Klasse. Für manche Kollegen mag es zum fragwürdigen Nimbus gehören, erster Klasse zu fahren. Nutzen bringt er indes keinen. Jedenfalls bringt die „upper class“ keinen Zeitgewinn. Ehrenwerter ist daher das angebliche Motto eines ehemaligen Oberhauptes der siebtreichsten deutschen Familie, der auf die Frage, warum er denn immer nur zweiter Klasse fahre, geantwortet haben soll: „weil es keine dritte gibt.“ Darin spiegelt sich preußische Bescheidenheit. Ausreichend ist die Klasse im Intercity ohnehin. Am 24. April entpuppt sich solche Standhaftigkeit als Fehler: Am ersten Schultag nach den Osterferien fluten Schülergruppen den Zug. In Düsseldorf, in Duisburg, in Essen. Die Klassenfahrt scheint für den einen oder anderen Lehrer ein willkommenes Mittel, die unterrichtsfreie Zeit zu verlängern. Das bedeutet zwei mal den Platz zu wechseln, der jeweils reserviert war, natürlich ohne dass es ordnungsgemäß angezeigt worden wäre.

Bochum als Stadt ist besser als ihr Ruf, wenn auch natürlich für eine Euphorie, wie sie Herbert Grönemeyer verbreiten will, kein Grund besteht. Immerhin ist der Bahnhofsvorplatz sauberer und es zeigen sich weniger Kopftücher als in der Landeshauptstadt, Mumien keine. Das Landgericht hingegen ernüchtert. Es befindet sich in einem Gesamtkomplex mit dem Amtsgericht. Vom Haupteingang führt ein geduckter, linoleumbedeckter Flur zum Anbau mit dem kalten Charme der Siebziger. An einer Art Foyer liegen die Verhandlungssäle. Einige von ihnen, unter anderem C 47, haben keine Fenster, da der Raum durch einen Fluchtgang von der Außenwand des Gebäudes abgeschirmt wird. Gewiss hielten das manche Leute für architektonisch gelungen. Ein langer Verhandlungstag drückt aber in einem solchen Kunstlichtbunker aufs Gemüt, noch dazu, da er, wie so viele, die reine schmucklose Funktionalität verkörpert. Es sollte aber kein langer Verhandlungstag werden: einer der zwei Angeklagten ist nicht erschienen. Die Sache muss trotzdem förmlich aufgerufen werden. Der linke Schöffe trägt eine Art Anglerweste aus Stoff zu einer ausgelutschten Hose. In dem der Verteidigung zugewandten Ohr prangt ein klobiger Tunnel-Ohrring. Der Mann ist nicht mehr siebzehn, auch nicht siebenundzwanzig, wirkt eher wie ein Siebenundvierziger, der wie siebenundfünfzig aussieht. Ob hier etwas deplaciert werden könnte, scheint in der Kammer nicht erörtert zu werden. Zwar schreibt die Strafprozessordnung würdiges Auftreten nicht vor, steht ihm aber auch nicht entgegen.

Zu Beginn wird ein Berufsanfänger für seinen kommenden Richterdienst vereidigt. Die „Zeremonie“ ist so nichtssagend und langweilig, wie das Interieur des Saales. Die knappe Formel ist schnell herunter genuschelt, ein „so wahr mir Gott helfe“ nicht enthalten, war auch nicht ernsthaft zu erwarten. Der Kammervorsitzende wünscht viel Spaß bei der Arbeit. Zwar verpflichtet die Strafprozessordnung nicht zur feierlichen Atmosphäre bei der Einführung eines Richters, steht ihr aber auch nicht entgegen. Dass die Richtertätigkeit etwas Erhabenes sein könnte, etwas das dem Menschen, insbesondere jenem, der zu erwarten hat, dass man ihm sein Fehlverhalten mittels eines Strafurteils verdeutlicht, Respekt abnötigt, legt die Atmosphäre nicht nahe.

Wenigstens geht der Vorsitzende, ein routinierter und in sich ruhender Mann, souverän mit der prozessualen Situation um. Nachdem der nicht erschienene Angeklagte von der Polizei an seinem Wohnsitz auch nicht angetroffen wird, ergeht Haftbefehl, eine angemessene Entscheidung, die der Angeklagte sich selbst zuzuschreiben hat. Schluss für heute.

In der Kantine ein Hüne mit Glatze, Salafistenbart und zwei Ohrtunneln, die den Schöffen in den Schatten stellen. Er ist aber (hoffentlich ?!) kein Salafist, sondern ein Justizwachtmeister; jedenfalls trägt er eine entsprechende Uniform. Würdiges Auftreten und die Strafprozessordnung…, wir sagten es bereits. Aber sie steht ihm auch nicht entgegen!  
  
Der nächst erreichbare Zug zurück ist der Regionalexpress um 12.55 Uhr. Mittags ist viel unangenehmes, lautes  Volk unterwegs. Pöbelgefahr. ich fahre erster Klasse.  
   




Mittwoch, 5. April 2017

Im Schatten der Silhouette


Ein Anti-Burschenschafts-Aufkleber und ein in keiner Weise befangener Richter
 

 Das an Kuriositäten wahrlich nicht arme Strafverfahren gegen Angehörige des sogenannten „Aktionsbüros Mittelrhein“ vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz, Aktenzeichen 2090 Js 29752/10.12 Kls ist um eine bizarre Nuance reicher. Am Dienstag, dem 28. März begann eine „Befangenheitsschlacht“ um einen Anti-Burschenschafts-Aufkleber, der an der Innenseite der Tür zum Dienstzimmer des Vorsitzenden Richters angebracht  und von außen erkennbar ist. Der Aufkleber zeigt die schwarze Silhouette eines offensichtlichen Verbindungsstudenten im Verbotsschild, ein bekanntes Motiv, das von vielen antifaschistischen Gruppen und Initiativen genutzt wird und häufig mit Kampfvokabeln wie „Verbindungen kappen“ oder „falsch verbunden“ verwendet wird. Die Richterkollegen halten das nicht für ein Zeichen von Befangenheit.

Dass der Vorsitzende einer Staatsschutzkammer in einem Prozess, in dem die rechts/links-Konfrontation beispielsweise im Falle einer Straßenschlacht anlässlich des Dresdner Trauermarsches 2011, ständiger Verhandlungsgegenstand ist, einen Aufkleber mit dezidiert politischer Ausrichtung an seiner Tür kleben hat, ist gelinde gesagt, bemerkenswert. Dass diese Ausrichtung auch ziemlich unverhüllt als antinational daherkommt, muss befremden. Folglich wurde sie auch fast einhellig von Angeklagten und deren Verteidigern, unter denen sich einige Angehörige der Deutschen Burschenschaft befinden, als offener Affront empfunden und mit Befangenheitsanträgen beantwortet.

Befangenheitsanträge erweisen sich im Strafprozess fast durchweg als stumpfes Schwert. Das Landgericht Rostock hat sogar den angeblich als Scherz gemeinten bei facebook geposteten Spruch eines Richters: „wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause – JVA“ (http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/wir-geben-ihrer-zukunft-ein-zuhause-jva-facebook-richter-darf-strafrichter-bleiben/13652892.html) nicht als Zeichen einer Befangenheit angesehen. Im AB- Mittelrhein-Verfahren hat sich das wieder einmal bestätigt. Der abgelehnte Richter hielt mit abwegigen Ausreden krampfhaft an dem Aufkleber fest. Daher entwickelte sich eine bizarre Debatte darüber, ob die Gestalt des Aufklebers seit seinem Bekanntwerden verändert wurde, ob der Verbotsstrich mehr oder weniger unterbrochen ist und ob es statthaft war, ihn vom Flur aus abzulichten. Als ob es darauf ankäme. Diese Posse wird vorerst keine Konsequenzen haben. Denn die Befangenheitskammer des LG Koblenz hielt den Aufkleber nicht für beanstandungswürdig. Zwar stehen noch weitere ähnliche Anträge zur Entscheidung an, aber das Ergebnis dürfte das gleiche sein.

Derlei Tendenzbekundungen verbieten sich an einem Gericht eigentlich von selbst. Ein Skandal ist es, wenn sie folgenlos bleiben. Mancher mag sich an den Satz der Krähen, die einander kein Auge aushacken, erinnert fühlen.    

Nachtrag 06.04.2017:

Jetzt wird schon offiziös von einer möglichen Einstellung des Verfahrens gesprochen: 

http://www.wormser-zeitung.de/politik/rheinland-pfalz/neonazi-mammutprozess-koennte-spektakulaer-platzen_17802934.htm