Freitag, 30. November 2018

NICHT  IM  ANSATZ

Rechtskräftige Freisprüche im Aachener Germanshop-Prozess


Die 9. Strafkammer des Landgerichts Aachen hat heute, am 30. November 2018, zwei Männer von dem Verdacht des bandenmäßigen Drogenhandels freigesprochen. Sie gehörten zu einer Gruppe von fünf Angeklagten, gegen die seit Februar 2018 verhandelt wird. Ihnen wurde bzw. wird vorgeworfen, im sogenannten Darknet den Rauschgifthandel organisiert zu haben. Es soll sich dabei um ein Verkaufsportal namens German-Shop handeln. In der Presse war immer wieder herausgestrichen worden, dass die Verdächtigen der rechten Szene angehören bzw früher angehörten, obwohl das für den Tatvorwurf belanglos ist.

Im Verlauf des Verfahrens ist die Anklage Stück für Stück zerbröselt. Dazu hat maßgeblich eine Reihe von Ermittlungsfehlern und Nachlässigkeiten beigetragen, die zum Teil groteske Ausmaße angenommen hatten:

- Bei einer angeblichen Gegenobservation, die dazu dienen sollte, den Einwurf von Drogenbriefen in einen Briefkasten zu sichern, sagte das Bauchgefühl den beobachtenden Beamten, dass eine schwarz gekleidete Person eine zentrale Rolle spiele. Leider war die Person verschwunden, nachdem ein Linienbus ihren Standort passiert hatte. Anlass zu weiteren Nachforschungen gab das nicht.

- Um festzustellen, welcher Brief in einen Briefkasten eingeworfen worden war, warfen Polizisten einen großen Umschlag hinterher. Mit diesem sogenannten Nachwurf sollte der vorherige Einwurf festgestellt werden. Keine Satire!    

 - Kaum einer der beteiligten Polizisten hat die Ermittlungen von Beginn bis Ende begleitet. Urlaub, Versetzung, Krankheit usw. führten dazu, dass eine größere Anzahl von Ermittlern irgendwie und irgendwann an dem Verfahren mitgearbeitet haben, aber keiner richtig. Dementsprechend schob im Gericht einer die Verantwortung auf den anderen: "Das müssen Sie Herrn X fragen." "Dafür war Frau Y zuständig." "Ich hatte damit nichts zu tun." "Ich habe nur die Ergebnisse der Beobachtung zusammengeschrieben, habe aber selber nichts gesehen." "Das ist zwar mein Bericht, aber so habe ich das niemals gesagt." Derart sprachen die Zeugen allermeist.

- Die Finanzunterlagen wurden nicht sorgfältig ausgewertet, so dass bis zum Schluss im Raume stand, dass einer der Angeklagten dubiose Bitcoingeschäfte getätigt hätte.

 - Auch die abgehörten Telefonate waren nur ausgesprochen oberflächlich ausgewertet worden, so dass die Strafkammer selbst das ganze Material durchforsten musste. Dabei trat eine Masse entlastender Gesichtspunkte zutage.

All das ist nicht nur ärgerlich, sondern im Grunde skandalös, denn eine ordnungsgemäße Polizeiarbeit hätte den beiden Angeklagten, die wie anfänglich alle fünf inhaftiert waren, womöglich eine monatelange Untersuchungshaft erspart. Folgerichtig kritisierte die Vorsitzende der Strafkammer bei der Urteilsverkündung die Defizite der Ermittlungsarbeit und sprach aus, dass die Angeklagten für die U-Haft zu entschädigen sind. Ihr Fazit im allgemeinen lautete, dass die Beweisaufnahme "nicht im Ansatz" eine Verurteilung gestützt hätte. Da die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelverzicht erklärte, sind die Freisprüche rechtskräftig. Gegen die drei anderen Angeklagten läuft das Verfahren weiter.

LG Aachen 69 Kls 901 Js 15/17-22/17

Mittwoch, 21. November 2018

LG Koblenz: ABM-Verfahren erneut gescheitert

peinlicher Fehler bei der Geschäftsverteilung 


Das Strafverfahren gegen (noch) 16 angebliche Angehörige des Aktionsbüros Mittelrhein vor dem Landgericht Koblenz wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ist erneut gescheitert. Die Neuauflage, die erst am 15. Oktober 2018 gestartet  war, ist nach nur fünf Verhandlungstagen bereits wieder beendet. Mit Beschluss vom 21.11.2018 gab das Gericht einer Besetzungsrüge statt, der sich die meisten Angeklagten angeschlossen hatten.  Sie stütze sich darauf, dass die 12. Strafkammer, bei der die Sache seit 2012 anhängig ist, durch verschiedene Änderungen des Geschäftsverteilungsplanes inzwischen nicht mehr für Staatsschutzsachen zuständig ist. Die Materie muss aber bei einer Staatsschutzkammer verhandelt werden. 

Diese justiztechnischen Formalien interessieren normalerweise unbeteiligte Betrachter wenig, zumal sie ohnehin nicht verstehen, warum sich ein solcher Prozess derartig in die Länge zieht. Sie müssen aber selbstverständlich eingehalten werden, denn andernfalls ist das Recht der Angeklagten auf ihren gesetzlichen Richter verletzt; und es dürfte bei ein wenig Sorgfalt auch kein Problem sein, sie einzuhalten.  Mit anderen Worten: weil sich das Gerichtspräsidium Schlampereien oder Nachlässigkeiten bei der Erstellung des Geschäftsverteilungsplanes geleistet hat, muss der Prozess nun zum zweiten mal ausgesetzt und von vorne begonnen werden! Zum Leidwesen der Angeklagten, die weitere Jahre in den Prozess gezwungen werden, zum Leidwesen aber auch der Steuerzahler, die wegen eines groben Behördenversehens noch mehr zur Kasse gebeten werden. 

Das allein ist schon ein peinlicher Vorgang. Zur Posse wird er dadurch, dass in dem Beschluss vom Mai 2017, mit dem das Landgericht das Verfahren erstmals aussetzte, mehr oder weniger versteckte Boykottvorwürfe an die Angeklagten bzw. deren Verteidiger enthalten waren. Sie hätten durch eine Flut von Anträgen den Prozess sabotiert, konnte man da beispielsweise lesen. Nun steht in der Strafprozessordnung nichts davon, dass die Angeklagten die Pflicht hätten, ihre eigene Verurteilung zu fördern, zumal in einem politischen Prozess. Sehr wohl steht dort jedoch etwas von ihrem Antragsrecht. Wer aber nicht einmal in der Lage ist, die geringsten formalen Anforderungen bei der Zuweisung eines solchen Prozesses zur richtigen Kammer oder bei der Besetzung dieser Kammer mit den richtigen Richtern zu erfüllen, sollte besser schweigen, wenn die Verteidigung ihre Materie beherrscht.

Wir dürfen gespannt sein, was uns die die dritte Auflage bietet!

LG Koblenz 2090 Js 29752/10.12 Kls

Montag, 15. Oktober 2018

Never ending story


Mammutprozess um das Aktionsbüro Miittelrhein beginnt von vorne


Am Landgericht Koblenz beginnt am 15. Oktober 2018 die Neuauflage eines Endlosprozesses. 16 Angeklagte müssen sich wegen des Vorwurfes der Bildung einer kriminellen Vereinigung, die die Staatsanwaltschaft unter dem Namen Aktionsbüro Mittelrhein angeklagt hat, verantworten.Dabei geht es nicht um Mord und Totschlag, nicht um Menschenhandel oder Prostitution nicht um Einbruch oder Rauschgifthandel, nicht um Schleuserei oder Grenzverletzung, sondern um Kleindelikte wie Sachbeschädigung, Schmierereien und Landfriedensbruch. Der Prozess ist denn auch nur die juristische Form, in die der politische Kampf gegen rechts gekleidet wird; ein Prozess, der im Jahr 2012 begann und über sage und schreibe 337 Verhandlungstage geführt wurde, bevor er im April 2017 ergebnislos beendet werden musste, weil der Vorsitzende Richter in den Ruhestand ging. Wenn er nun komplett von vorn anfängt, liegt das nicht an einem strafrechtlichen Bedürfnis: die noch zu erwartenden Strafen liegen im absoluten Bagatellebereich. Es liegt an dem politischen Bedürfnis eines Systems, das jeden Tag ein Stück mehr an innerer Legitimität verliert und sich nur noch über den Kampf gegen rechts definiert und dazu entweder groß angelegte Propagandafeldzüge veranstaltet wie nach den Vorfällen von Chemnitz, oder eben politische Justiz betreibt.

LG Koblenz 2090 Js 29752/10.12 Kls  

Dienstag, 2. Oktober 2018

Der Zug mit dem Kreuz

VG Köln hebt Versammlungsauflage gegen Abakus e.V. auf


Das Verwaltungsgericht Köln hat in einer Eilentscheidung vom 2. Oktober 2018 eine Auflage des Polizeipräsidiums Köln vom selben Tag (sic!) gegen eine Kundgebung des Vereins Abakus e.V. am 03.Oktober 2018 aufgehoben. Der überparteiliche Verein hat für den Tag der Deutschen Einheit eine Kundgebung unter dem Motto "Wir trauern um die Opfer der verfehlten Flüchtlingspolitik von Angela Merkel" in Leverkusen angemeldet. Dabei wollte er auch Holzkreuze mit Bildnissen ermordeter Personen mitführen. Das Polizeipräsidium untersagte mit einer fragwürdigen Begründung des Kunsturheberrechts  nicht nur die Befestigung der Bilder an den Kreuzen, sondern gleich die Kreuze selbst. Ob ihm das christliche Symbol an sich ein Dorn im Auge ist, ging aus der Begründung des Bescheids nicht hervor.

Der Verein setzte sich dagegen zur Wehr und erwirkte, dass die Klage gegen die Auflage aufschiebende Wirkung erhielt, so dass die Kreuze mitgeführt werden dürfen. (20 L 2247/18)  


Mittwoch, 29. August 2018

VG Köln: Prozess um Kölner Pegida-Demo vom Januar 2016


Hiermit werden alle Interessenten aufgerufen, am 30. August 2018 ins Verwaltungsgericht Köln zu kommen. Es geht um den Polizeieinsatz gegen die Pegida-Kundgebung unweit des Kölner Hauptbahnhofes am 09.  Januar 2016.

Es wird festzustellen sein, ob das polizeiliche Handeln damals rechtswidrig war. Nach dem Eindruck vieler Teilnehmer hat die Polizei an dem Tag die Versammlung zunächst grundlos blockiert und behindert, um gewalttätige Aktionen der Teilnehmer zu provozieren. Anschließend kam es zum Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfer. 
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Wer spontan Zeit hat, sollte morgen zum Verwaltungsgericht Köln am Appelhofplatz, Eingang Burgmauer, kommen:

zeit: 11.00 Uhr
Ort: Saal 160, 1. Stock

Mittwoch, 18. Juli 2018

Vorankündigung: Gabriel vor Gericht

Flüchtlingspolitik auf dem Prüfstand


Der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel muss sich am 27. Juli 2018 vor dem Landgericht Hamburg in einem Zivilverfahren für die Flüchtlingspolitik, die er in seiner Eigenschaft als Vizekanzler mitverschuldet hat, verantworten. Formal ist er dabei der Kläger. Gabriel hat einen Gewerbetreibenden aus Sachsen auf Unterlassung in Anspruch genommen, der einen satirischen Modellgalgen vertrieben hatte, bei dem jeweils ein Platz symbolisch für die Bundeskanzlerin und ihren Stellvertreter reserviert war. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat ein diesbezüglich geführtes Strafverfahren am 09. März 2017 wegen Nichtvorliegens eines Tatbestands gemäß § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt (Az. 204 Js 61677/15). Dennoch sieht sich Gabriel durch  dem symbolischen Galgen in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Dem ist das Landgericht Hamburg in einer fragwürdigen Entscheidung vom 13.12.2017, mit der es eine Einstweilige Verfügung gegen den Beklagten erließ, ohne sie jedoch inhaltlich zu begründen (sic), gefolgt. Nun wird die Klage in der Hauptsache verhandelt.

Bei näherem Hinsehen ergeben sich aber einige Gesichtspunkte, die gegen Gabriel sprechen, wobei es in einem, solchen zivilprozessualen Verfahren nicht darum geht, ob der Streitgegenstand möglicherweise geschmacklos ist, was man sicherlich so empfinden kann. Stattdessen ist zu fragen, welche Aussage darin steckt und wie sie juristisch gerechtfertigt werden kann oder eben  nicht. Dabei spielt eine Rolle, dass sich der Streit um eine bedeutsame politische Frage, die in der Öffentlichkeit heiß debattiert wurde und wird, rankt, dass der Kläger in diesem Zusammenhang selbst das Volk als "Pack" diffamierte, usw.  Kunst- und Meinungsfreiheit sind zu beachten.

Entscheidend dürfte hier folgendes sein: Mit dem Symbolgalgen attackierte der Beklagte nicht die Person Sigmar Gabriel, sondern die Flüchtlingspolitik der seinerzeitigen Bundesregierung, der man durchaus das Etikett Rechtsbruch anheften kann, wie ähnlich auch Horst Seehofer zu sagen beliebte. Welche Entwicklung damit über Deutschland hereingebrochen ist, lässt sich mittlerweile täglich miterleben. Auch die Ermordeten der illegal nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge gehen mit auf das politische Schuldkonto der (damals) Herrschenden. Auf dieses Versagen aus dem Jahre 2015 reagierte der Beklagte auf seine Weise. Ob das so sein musste, kann man in Zweifel ziehen. Vor Gericht geht es aber darum, ob er es durfte. Im übrigen sollte sich Herr Gabriel einmal fragen, was der größere Skandal ist: ein Volk und Staat bedrohender Zustrom kulturfremder Massen, oder eine holzgewordene Provokation gegen einen der Verantwortlichen. 

(LG Hamburg 324 O 623/17 und 324 O 53/18)        


Donnerstag, 5. Juli 2018

Demo oder Nicht-Demo ist die Frage


Freispruch vor dem LG Dortmund in einem Pfeffersprayprozess 


Das Landgericht Dortmund hat am 04.07.2018 einen jungen Mann vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in Gestalt des Mitführens von Pfefferspray freigesprochen. Er hatte am 3. Oktober 2016 mit ein paar Freunden versucht, eine linksgerichtete Demonstration in Hamm zu beobachten, war aber weit im zeitlichen und räumlichen Vorfeld von der Polizei abgedrängt worden. Daraufhin wollte er selbst eine Spontandemonstration bzw. Mahnwache anmelden. Das jedoch unterband der zuständige Polizeibeamte. Es fehle das Thema. Stattdessen wurden der Angeklagte und seine Begleiter durchsucht, bei einigen von ihnen Pfefferspray gefunden und gegen sie Anzeigen nach § 27 des Versammlungsgesetzes erstattet. Die soeben noch untersagte "Demo" gab nun den Vorwand des Mitführens von Waffen bei einer angeblichen Versammlung ab.

Der Prozess, der mit einem Strafbefehl in Höhe von 20 Tagessätzen zu 30 Euro begann, erstreckt sich bis jetzt über anderthalb Jahre und ist mit diesem Berufungsurteil noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Viel Einsatz also um wenig Lohn? Nein. Bei geringfügigen Strafmaßen stellt sich immer die Frage, ob der Beschuldigte Rechtsmittel einlegen sollte. Oft dürfte, selbst bei einem Freispruch, der finanzielle Aufwand größer sein als bei Hinnahme einer niedrigen Geldstrafe. Dementsprechend hatten die Begleiter des Angeklagten ihre Strafbefehle hingenommen. Jedoch ist zu bedenken, dass solche Kleinverfahren häufig der Einstiegsanker des Staates sind, um politische Aktivisten zu kriminalisieren. In späteren Verfahren bleibt es dann nicht bei zwanzig Tagessätzen, und irgendwann auch nicht mehr bei Geldstrafe. Wehret den Anfängen also auch in diesem Bereich. Außerdem muss sich niemand vom Staat offiziell zum Kriminellen ernennen lassen, der es nicht ist oder überzeugt ist, es nicht zu sein, zumal wenn, wie hier, die Fragwürdigkeiten recht offen zu Tage liegen: erst Mahnwache nein, um die Betroffenen an der Meinungskundgabe zu hindern, dann Mahnwache ja, um sie zu bestrafen.

Das Gericht bestätigte nunmehr die Rechtsauffassung des Angeklagten. Wo keine Versammlung stattfindet, kann man auch keine Waffe zur Versammlung mitführen, so ist das bislang nur mündlich vorliegenden Urteil sinngemäß zusammenzufassen. Der Kampf kann sich also lohnen. Zwangsläufig ist das sicher nicht; man kann ein solches Verfahren verlieren; aber: wer nicht kämpft, hat schon verloren.  


LG Dortmund 45 Ns 600 Js 38/16 (Vorinstanz AG Hamm)

Samstag, 9. Juni 2018

Vom Bauchgefühl zum Haftbefehl

Kriminalistische Erkenntnisse aus Schilda


Am Landgericht Aachen zieht sich seit Februar 2018 ein Prozess gegen fünf Angeklagte wegen bandenmäßigen Drogenhandels dahin. Die bisherigen Zeugenaussagen sind recht unergiebig. Insbesondere die Polizeibeamten machen keine gute Figur. Fast immer berufen sie sich auf ihre Kollegen, deren Erkenntnisse sie nur schriftlich zusammengefasst haben wollen. "Ich habe das nur übernommen", ist einer der am meisten gehörten Sätze im Gerichtssaal.

Am 4. und 6. Juni 2018 durften sich die Anwesenden dann aber ein Bild davon machen, wie eine Observation im März 2017 real vonstatten gegangen war. In Zentrum stand eine obskure unbekannte, schwarz gekleidete Person, die eine sogenannte Gegenobservation durchgeführt haben soll. Damit ist gemeint, dass sie die angebliche Tathandlung, hier das Einwerfen von Briefen, gefüllt mit Rauschgift, beobachtet haben soll, um festzustellen, ob der Vorgang von Dritten, sprich möglichen Polizeibeamten, observiert wird. Von diesem Unbekannten wussten die Zeugen nur zu berichten, dass er eine Zeit lang auf einer Bank saß, dann die Straßenseite wechselte und verschwunden war, nachdem ein Linienbus die Szenerie passiert hatte. Wie wurde er zum Verdächtigen? Durch Befragung? Durch Prüfung der Personalien? Durch Verfolgung? Nein, durch das Bauchgefühl der beteiligten Polizisten. Ob der Bauch hungrig oder gesättigt war, ist nicht bekannt geworden, nur leider hat sich sein Gefühl als sehr verfestigte Tatsache in einen Haftbefehl fortgesetzt, wo die angebliche Gegenobservation eine wesentliche Grundlage abgab.  

Als wenn das nicht bizarr genug wäre, hat eine Polizistin den Verfahrensbeteiligten am 06.06.2018 von einer besonders erlesenen Methode berichtet, wie die Polizei Aachen verdächtige Briefe erkennt: Durch einen Nachwurf, das heißt indem ein großer Briefumschlag unmittelbar nachdem ein Verdächtiger einen Brief in den Kasten geworfen hat, hinterher geworfen wird. Dadurch soll bei einer Leerung der Verdachtsbrief erkannt werden (liegt ja direkt vor dem Nachwurfbrief). Wer jemals miterlebt hat, welcher Wust an Briefen aus dem Auffangsack eines Briefkastens quillt, wie dort die Briefe durch. und umeinander fallen, wie sie kreuz und quer liegen, verrutschen, sich hochkant stellen usw. der kann das, was die Polizei hier als ernstzunehmende Ermittlungsmethode präsentierte, nur als Schildbürgerstreich bezeichnen. Leider bleibt dreien der fünf Angeklagten das Lachen darüber im Halse stecken. Denn sie müssen sich in der Zelle darüber amüsieren. Kein gutes Bauchgefühl.      

Az 69 Kls 22/17

Montag, 28. Mai 2018


Am Ort der Hexenbrenner

Sigrid Schüßler legt Verfassungsbeschwerde gegen Bamberger Urteilssprüche ein


Wo sich die Arroganz der Macht mit der Selbstgerechtigkeit der Richter paart, weiß der Kundige, er ist in Bayern. Wenn er dann noch in Bamberg ist, gnade ihm/ihr Gott. Solches musste im Jahr 2017 die politische Aktivistin Sigrid Schüßler, die sich selbst "die zauberhafte Märchenhexe" (Schüßler betrieb bis vor einigen Jahren ein Kindertheater)  nennt,  erleben, als sie in Bamberg wegen Volksverhetzung, § 130 StGB, vor Gericht stand. Dort hatte sie im Januar 2016 unter dem Einfluss der Sylvesterereignisse von Köln und anderen deutschen Städten eine Rede gegen die verfehlte Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland gehalten. Vor Gericht musste sie dann im August und Oktober 2017 den Eindruck gewinnen, dass der inquisitorische Geist aus der Zeit der Hexenverbrennungen in Bamberg noch durch manche Köpfe zu wehen scheint. Angefangen von schikanösen Eingangskontrollen im Gerichtssaal, fortgesetzt durch die Ablehnung sämtlicher Anträge der Verteidigung, sich schließlich verdichtend in den Giftblicken von Schöffen und Staatsanwalt gab sich das Landgericht wenig Mühe, den Verdacht zu verhindern, dass nicht die Aufklärung eines Sachverhaltes im Zentrum des Prozesses stehen könnte, sondern die Erzielung eines Ergebnisses. Eine feindseligere Atmosphäre in politischen Strafverfahren als im schaurigen Bamberg dürfte es kaum geben. 

Die Passagen, die Justiz, aus dem Zusammenhang eines Textes von drei Seiten herausgegriffen, als strafwürdig beanstandete, lauteten: 

"Das [also Köln u.a., d.V.] war geplant, das waren Absprachen. Junge gefährliche gesunde arbeitsfähige, kräftige Testosteronbomben aus aller Herren Länder, die ihrer Heimat fliehen und sich hier ins gemachte Nest setzen wollen, haben sich verabredet, um das zu tun, weswegen sie hier sind: um deutsche Frauen zu überfallen, zu erniedrigen, zu vergewaltigen, um uns zu überrennen und hier einen neuen Staat zu errichten, der aber kein deutsches Gesicht mehr haben wird, sondern ein Gesicht aus aller Herren Länder, und zwar aus aller Herren muslimischer Länder."

Man muss nicht so sprechen. Aber darf man nicht so sprechen? Das Landgericht sah in den Formulierungen jedenfalls, wie ähnlich schon die Vorinstanz, eine falsche Tatsachenbehauptung, für die die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG nicht gelte. Auch das OLG folgte dem. Richtiger wird man sagen müssen, diese überspitzen und provokativen Formulierungen beschreiben eine reale Gefahr der Flüchtlingspolitik und kein reales Verhalten eines jeden einzelnen Flüchtlings. Daher ist es, wie es übrigens aus dem von den Gerichten ignorierten weiteren Textabschnitten hervorging, in erster Linie ein Werturteil über die Flüchtlingspolitik und muss den Schutz der Meinungsfreiheit genießen. Denn, wie wir alle wissen, kommt es nicht auf Wortklauberei an. Nicht, was jemand sagt, ist entscheidend, sondern, was er damit sagt. Das wird nun das Bundesverfassungsgericht klären müssen. (LG Bamberg 1 Ns 1108 Js6649/16 und 2 OLG 130 Ss 15/18)


Freitag, 16. März 2018

Auschwitz kein Kündigungsgrund

VW verliert im selbsternannten Kampf gegen rechts

Zum zweiten Mal innerhalb von einer Woche musste sich der Volkswagen-Konzern in einem arbeitsgerichtlichen Prozess geschlagen geben, bei dem die Gesinnung eines Mitarbeiters im Zentrum stand. Doch während es bei dem Kündigungsschutzverfahren eines mutmaßlichen ISlamisten darum gegangen war, wie er sich am Arbeitsplatz verhalten hatte, ging es am 16. März 2018 vor dem Arbeitsgericht Braunschweig (1 Ca 295/17) ausschließlich um die Freizeitaktivitäten eines Schlossers aus dem Werk Salzgitter. Ihm warf VW unter anderem vor, an einem Vorfall im Bierkönig auf Mallorca beteiligt gewesen zu sein, rechte Postings bei Facebook getätigt zu haben usw. Bemerkenswert war die Argumentation des Konzerns: neben den üblichen Behauptungen, zu einem multikulturellen Konzern passe kein "Rechter", verstieg er sich dazu, das Thema Auschwitz für sich ausschlachten zu wollen. Weil VW Verantwortung für diesen Teil der deutschen Geschichte übernehme, was die Menschen auch von ihm erwarteten, könne der Kläger nicht weiter im Unternehmen beschäftigt bleiben. Abgesehen davon, dass schon die Logik nicht erkennen lässt, was das eine mit dem anderen zu tun hat, erwarten die Menschen nicht, dass VW die Geschichte eines Konzentrationslagers aufarbeitet, sondern dass das Unternehmen technisch einwandfreie Autos herstellt und unter anderem die vorgeschriebenen Abgaswerte einhält. Das Arbeitsgericht urteilte denn auch, dass die vorgetragenen Sachverhalte nicht gravierend genug seien, um ins Betriebsleben einzuwirken bzw. den Betriebsfrieden zu stören. Schuster bleib bei Deinem Leisten, kann man da nur an die Adresse von VW sagen: Denn der politische Meinungskampf gehört nicht in die Arbeitswelt. Man darf gespannt sein, ob der Konzern im Instanzenzug doch noch versucht, zum Endsieg zu kommen.   

Dienstag, 27. Februar 2018

Strafe für "frecher Judenfunktionär"

Druck auf Gericht wirkt anscheinend - Sechs Monate ohne Bewährung  


Am 22. Februar 2018 hat das Amtsgericht Bielefeld den als nationalen Aktivisten bekannten Sascha Krolzig aus Dortmund zu einer sechsmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt (Az. 39 Ds 216 Js 396/16-1027/17). Krolzig hatte den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Detmolds, den Pianisten Matjatju Kellig, in einem Interneteintrag vom August 2016 (sic!) kritisiert, weil er, Kellig, zuvor in einem Video des Westdeutschen Rundfunks die Stadt Preußisch Oldendorf aufgefordert hatte, einer Druckerei den Auftrag für das kommunale Amtsblatt zu entziehen. Grund für diese Einmischung in fremde Angelegenheiten waren Bücher im Verlagsprogramm, die Herrn Kellig nicht gefallen. Krolzig ließ sich in seinem ansonsten wohl abgewogenen Bericht, in dem er auch andere selbsternannte Gesinnungswächter nicht verschonte, dazu verleiten, Herrn Kellig als "frechen Judenfunktionär" zu betiteln.

Sicherlich ist ein solcher Begriff kein Kompliment, und man wird auch Jenen nicht widersprechen, die finden, dass es sich bei dieser Wortwahl um eine Geschmacklosigkeit handelt. Jedoch ist das Strafrecht nicht dazu erschaffen, um Geschmacklosigkeiten zu benennen. Vielmehr muss es unter Beachtung des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 des Grundgesetzes feststellen, ob die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wurde. Vorliegend wäre das aus mehreren Gründen zu verneinen gewesen. Hier seien nur einige wenige angeführt:

-  Kellig hatte sich in der Funktion und mit der Macht seines Amtes, das ihm mehr Gehör verschafft als dem Otto Normalrechtsunterworfenenen, in eine öffentliche Debatte eingeschaltet
-  in einer solchen öffentlichen Debatte gilt eine Vermutung zugunsten der freien Rede  
-  wer polemisch auftritt, muss sich Polemik gefallen lassen
- der Angeklagte hatte somit nicht Herrn Kellig als Person angegriffen, sondern den Missbrauch seines Amtes.

Erwartungsgemäß setzte sich das Gericht über solche Gesichtspunkte hinweg und verurteilte den Angeklagten. Die Höhe der Strafe zeigt, dass das Strafrecht einmal mehr missbraucht wurde, um politische unliebsame Personen mundtot zu machen. Möglich gemacht wurde sie dem Gericht unter anderem dadurch, dass das vorgeworfene Geschehen in eine laufende Bewährungszeit fiel.  

Genau so interessant wie die aus Sicht der Verteidigung fehlerhafte Bewertung des Sachverhaltes ist aber der Verfahrensgang: Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen des Sachverhaltes ein Verfahren wegen Beleidigung geführt und eingestellt. Erst als Herr Kellig über seinen Prozessvertreter, den berüchtigten "Nazijäger" Thomas Walther massiven Druck auf Gericht und Staatsanwaltschaft in Gestalt ungezählter seitenlanger Empörungsbriefe ausübte, setzte ein Umdenken ein. Das seinige mag dazu beigetragen habe, dass die Journalistin Gisela Friedrichsen in einem groß aufgemachten Artikel der "Welt" vom 22.09.2017 "Warum reagiert die Justiz bei frecher Jude nicht?" https://www.welt.de/vermischtes/article168937469/Warum-reagiert-die-Justiz-bei-frecher-Jude-nicht.html zum Halali blies. Bei alldem blieb für die Verteidigung bis zum Schluss ungeklärt, auf welche formale Weise das Verfahren wieder in Gang gesetzt wurde. Auch die Gewährung des rechtlichen Gehörs für den Angeklagten bewegte sich auf einem schmalen Grat. In der Hauptverhandlung sagte der Staatsanwalt sinngemäß, es reiche aus, dass der Angeklagte jedenfalls in der Anklageschrift von den Vorwürfen gehört habe. 

Man kann nur mutmaßen, welche Kräfte hier am Spiel waren. Vielleicht bringen die nächsten Instanzen darüber Aufschluss; der Angeklagte wird sich mit diesem Urteil nicht abfinden und Rechtsmittel einlegen.   


Mittwoch, 14. Februar 2018

Internet, wo bist Du?

technisches Armutszeugnis: Aachener Drogenprozess offline


Seit dem 6. Februar 2018 wird vor der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen eine Anklage gegen eine angebliche Drogenbande, die über das Internet, genauer gesagt, das Darknet, einen ausgedehnten Handel mit Amphetaminen, XTC und ähnlichen Betäubungsmitteln betrieben haben soll, verhandelt. Auch zahlreiche Einzelsachverhalte aus der Anklageschrift knüpfen an Vorgänge aus der Cyberwelt an, beispielsweise die Digitalwährung Bitcoin, über die die Verkäufe  abgewickelt worden sein sollen. So wird dem einzigen Angeklagten, der sich auf freiem Fuße befindet, unter anderem vorgeworfen, ein anonymes Bitcoin-Konto unterhalten zu haben. Dieser Vorwurf ist aber schon durch die Dokumente aus der Ermittlungsakte widerlegt. Bezeichnenderweise ist er einer der ganz wenigen Verdachtsmomente überhaupt, die allesamt so schwach sind, dass das Oberlandesgericht Köln die Untersuchungshaft gegen diesen Mann aufgehoben hat.


Nun wollte er in der Hauptverhandlung vom 14. Februar mittels eines Aufrufes verschiedener anderer Internetkonten dem Gericht demonstrieren, dass auch ein weiterer Punkt, an dem die Staatsanwaltschaft ein vermeintlich strafbares Haar in der Suppe zu finden glaubte, nicht aufrechtzuerhalten ist. Er hätte durch die Präsentation nachweisen können, dass er seit langer Zeit regelmäßig und regulär Gegenstände veräußert, die, anders als die StA behauptet, nichts mit einem irgendwie gearteten Drogenhandel zu tun haben. 

Sein entsprechender Antrag wurde abgelehnt, weil, ja weil sich die Strafkammer am LG Aachen technisch außer Stande sah, im Gerichtssaal einen Internetzugang bereitzustellen. Dass so eine Malaise am Technologiestandort Aachen stattfindet, mag manch ein Beobachter  als verspätete Karnevalsnarretei ansehen. Faktisch ist es aber eine Ignoranz gegenüber den Verteidigungsinteressen eines Angeklagten, dessen Rechte auf diese Weise beschnitten werden. Sie hat gute Chancen als revisionserheblicher Verfahrensfehler in die Rechtsgeschichte einzugehen. Im Jahre 2018 sollten auch Gerichte in der Lage sein, mit der Technik von heute umzugehen.  Dass dem anscheinend nicht so ist, ist ein Armutszeugnis für die Justiz, und zwar eins, das nicht geduldet werden darf.