Samstag, 24. Juni 2017

Neuer Streich des Zensors


In juristischen Texten gilt es als untunlich, Kraftausdrücke zu verwenden.  Wer etwa in Klausuren oder anderen Ausarbeitungen schreibt, dieser oder jener Sachverhalt sei „zweifelsfrei“ juristisch einzuordnen, erweckt damit Zweifel an seinen Fähigkeiten. Eine ebensolche verbale Kraftmeierei und damit juristischer Unfug ist der Begriff „offensichtlich“. Zu den wenigen Offensichtlichkeiten, die es wirklich gibt, gehört die Tatsache, dass der Regen von oben nach unten fällt, und nicht umgekehrt. Wenn der A dem B ins Gesicht schlägt, ist das offensichtlich keine Brandstiftung. Die sonstige rechtliche Einordnung dieses Schlags ist demgegenüber alles andere als offensichtlich. Je nach dem, ob der Täter ein Werkzeug einsetzte oder nicht, handelt sich um eine einfache oder eine gefährliche Körperverletzung. Davon wiederum hängt ab, ob ein Strafantrag zu stellen ist oder nicht. Von den Tatfolgen hängt ab, ob es ggfs. eine schwere Körperverletzung ist. Für die Strafbarkeit schließlich kommt es auf die Situation an, in der der Schlag fiel, auf das Verhalten des Geschädigten und vieles mehr. Wenn es sich um Notwehr handelt, wird der A freigesprochen. Gibt es keinen Freispruch, kann die Strafe wegen einer vorangegangenen Provokation des B gemildert werden usw usf.  Man hüte sich also vor der Benutzung des Wortes „offensichtlich“ im Recht.

Nichts destotrotz hat der  Zensor auf dem Thron des Justizministeriums, Heiko Maas, einen Entwurf für ein sogenanntes Netzwerkdurchsetzungsgesetz (welch Wortungeheuer) vorgelegt, mit dem Betreiber sozialer Netzwerke verpflichtet werden sollen, „einen offensichtlich rechtswidrigen Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang“ einer Beschwerde zu löschen (BT-Drs. 18/12356  - http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf). Angebliches Ziel des Gesetzes ist der Kampf gegen Hasspostings im Internet. Die Nichtbefolgung wird mit drakonischen Geldbußen von bis zu 5 Millionen (!) Euro belegt. Hat schon das obige Beispiel gezeigt, wie schwierig es ist, einen einfach erscheinenden Sachverhalt juristisch korrekt auszulegen, wird klar, dass es bei Meinungsäußerungen ungleich schwieriger ist. Das liegt an dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG, das in solchen Fällen zu beachten ist. Die Obergerichte und das Bundesverfassungsgericht haben in einer umfangreichen Judikatur ein ausdifferenziertes System entwickelt, wann eine Äußerung strafbar ist und wann sie wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung hinzunehmen ist. Zu prüfen ist dabei unter anderem, ob die Äußerung privat oder öffentlich fällt, ob sie Teil einer öffentlichen Debatte, also des politischen Diskurses, ist, ob sie die Reaktion auf eine vorangegangene andere Äußerung ist, ob sie in sachlicher Kritik besteht oder in persönlicher Diffamierung, ob hinter der Kritik an einer Person in Wahrheit die Kritik an einer Sache steht, sie fragt nach dem Gesamtzusammenhang und verbietet das Abstellen auf willkürlich herausgegriffene Worte oder Passagen. Ein breites öffentliches Echo rief der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 1995 „Soldaten sind Mörder“ hervor (BVerfGE 93, 266ff). Juristischer Kernpunkt dieser Entscheidung war, dass Äußerungen schon auf der Auslegungsebene als nicht strafbar angesehen werden müssen, wenn es mehrere Deutungsmöglichkeiten gibt und sich darunter eine straflose befindet. Innerhalb der öffentlichen Debatte gilt ohnehin eine Vermutung zugunsten der freien Rede. Mit anderen Worten: was als Meinungsäußerung rechtswidrig ist oder nicht, kann und muss in einem nach den Regeln der jeweiligen Prozessordnung zu führenden Gerichtsverfahren gegebenenfalls über mehrere Instanzen geklärt werden. Weder kann noch darf es einem Medienunternehmen aufgebürdet werden, in einem Schnellverfahren, welches allen rechtlichen Garantien spottet, solches zu entscheiden. Was Herr Maas einführen will, ist nicht die Bekämpfung von Hasspostings sondern die standrechtliche Erschießung des freien Wortes.

Angesichts dessen entpuppt sich der Gesetzentwurf als juristische Missgeburt. Seine juristische Bedürfnislosigkeit kann den Minister, der nach eigener Auskunft auf seiner Homepage noch nie im Leben im eigentlichen Sinne juristisch tätig war, also als Richter, Anwalt o.ä. (außer im Referendariat), nicht entlasten:  das Recht auf freie Meinungsäußerung sollte doch dem gröbsten juristischen Laien bekannt sein. Außerdem hat er im Ministerium sachkundige Mitarbeiter. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat denn auch in einem Gutachten vom 12. Juni 2017 (hier abrufbar: https://www.steinhoefel.com/2017/06/neue-blamage-fuer-maas-wissenschaftlicher-dienst-netzwerkdurchsetzungsgesetz-verfassungswidrig.html/print/) massive verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetz erhoben. Es gipfelt in dem Satz: „Dieser Eingriff [in das Grundrecht, d.V.] erscheint nach Abwägung der erörterten Belange nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein.“

Es ist denn auch nicht Maasens Unkenntnis sondern seine Freiheitsfeindschaft, die bei dem Gesetzentwurf die Feder geführt hat. Denn es geht nicht darum, ein Rechtsproblem zu lösen. Es geht darum, facebook und andere mundtot zu machen, und noch viel mehr geht es darum, die in den letzten Jahren erfolgte Demokratisierung der Öffentlichkeit, die die sozialen Netzwerke erst ermöglichten, wieder rückgängig zu machen. Im vordigitalen Zeitalter konnte die Lügenpresse mittels ihrer sogenannten Türwächterfunktion bestimmen, was gelesen werden konnte. Was nicht genehm war, erschien nicht. Das Kartell aus Meinungsmachern, Politkern und Lobbyisten hatte auf diese Art eine indirekte Meinungsdiktatur errichtet. Sie wurde mit zunehmender Verbreitung des Internets unterlaufen. Den bisherigen Schlusspunkt bilden Online-Programme, wie eben facebook, wo nicht nur sprichwörtlich Jeder ein Profil einrichten kann, sondern wo über eine leicht handhabbare Softwaretechnik auch schnelle und direkte wechselseitige Kommunikation möglich wurde – und mit ihr wieder echte Redefreiheit. Dass das den Machthabern ein Dorn im Auge sein musste, liegt auf der Hand, und dass es gerade Herrn Maas in Alarmbereitschaft versetzte, war zu erwarten. Allerdings offenbarte sich wieder einmal die jeder Übertreibung innewohnende Dialektik. Der demokratiefeindliche Impetus der ministeriellen Demagogenverfolgung lag so offensichtlich (!) zu Tage, dass er zahlreiche Widerstände und Kritiker aus Reihen der Wirtschaft, der Juristen aber auch journalistischer Verbände usw. auf den Plan rief. Hoffen wir, dass dem Zensurnapoleon dadurch sein Waterloo bereitet wird.