Dienstag, 27. Februar 2018

Strafe für "frecher Judenfunktionär"

Druck auf Gericht wirkt anscheinend - Sechs Monate ohne Bewährung  


Am 22. Februar 2018 hat das Amtsgericht Bielefeld den als nationalen Aktivisten bekannten Sascha Krolzig aus Dortmund zu einer sechsmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt (Az. 39 Ds 216 Js 396/16-1027/17). Krolzig hatte den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Detmolds, den Pianisten Matjatju Kellig, in einem Interneteintrag vom August 2016 (sic!) kritisiert, weil er, Kellig, zuvor in einem Video des Westdeutschen Rundfunks die Stadt Preußisch Oldendorf aufgefordert hatte, einer Druckerei den Auftrag für das kommunale Amtsblatt zu entziehen. Grund für diese Einmischung in fremde Angelegenheiten waren Bücher im Verlagsprogramm, die Herrn Kellig nicht gefallen. Krolzig ließ sich in seinem ansonsten wohl abgewogenen Bericht, in dem er auch andere selbsternannte Gesinnungswächter nicht verschonte, dazu verleiten, Herrn Kellig als "frechen Judenfunktionär" zu betiteln.

Sicherlich ist ein solcher Begriff kein Kompliment, und man wird auch Jenen nicht widersprechen, die finden, dass es sich bei dieser Wortwahl um eine Geschmacklosigkeit handelt. Jedoch ist das Strafrecht nicht dazu erschaffen, um Geschmacklosigkeiten zu benennen. Vielmehr muss es unter Beachtung des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 des Grundgesetzes feststellen, ob die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wurde. Vorliegend wäre das aus mehreren Gründen zu verneinen gewesen. Hier seien nur einige wenige angeführt:

-  Kellig hatte sich in der Funktion und mit der Macht seines Amtes, das ihm mehr Gehör verschafft als dem Otto Normalrechtsunterworfenenen, in eine öffentliche Debatte eingeschaltet
-  in einer solchen öffentlichen Debatte gilt eine Vermutung zugunsten der freien Rede  
-  wer polemisch auftritt, muss sich Polemik gefallen lassen
- der Angeklagte hatte somit nicht Herrn Kellig als Person angegriffen, sondern den Missbrauch seines Amtes.

Erwartungsgemäß setzte sich das Gericht über solche Gesichtspunkte hinweg und verurteilte den Angeklagten. Die Höhe der Strafe zeigt, dass das Strafrecht einmal mehr missbraucht wurde, um politische unliebsame Personen mundtot zu machen. Möglich gemacht wurde sie dem Gericht unter anderem dadurch, dass das vorgeworfene Geschehen in eine laufende Bewährungszeit fiel.  

Genau so interessant wie die aus Sicht der Verteidigung fehlerhafte Bewertung des Sachverhaltes ist aber der Verfahrensgang: Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen des Sachverhaltes ein Verfahren wegen Beleidigung geführt und eingestellt. Erst als Herr Kellig über seinen Prozessvertreter, den berüchtigten "Nazijäger" Thomas Walther massiven Druck auf Gericht und Staatsanwaltschaft in Gestalt ungezählter seitenlanger Empörungsbriefe ausübte, setzte ein Umdenken ein. Das seinige mag dazu beigetragen habe, dass die Journalistin Gisela Friedrichsen in einem groß aufgemachten Artikel der "Welt" vom 22.09.2017 "Warum reagiert die Justiz bei frecher Jude nicht?" https://www.welt.de/vermischtes/article168937469/Warum-reagiert-die-Justiz-bei-frecher-Jude-nicht.html zum Halali blies. Bei alldem blieb für die Verteidigung bis zum Schluss ungeklärt, auf welche formale Weise das Verfahren wieder in Gang gesetzt wurde. Auch die Gewährung des rechtlichen Gehörs für den Angeklagten bewegte sich auf einem schmalen Grat. In der Hauptverhandlung sagte der Staatsanwalt sinngemäß, es reiche aus, dass der Angeklagte jedenfalls in der Anklageschrift von den Vorwürfen gehört habe. 

Man kann nur mutmaßen, welche Kräfte hier am Spiel waren. Vielleicht bringen die nächsten Instanzen darüber Aufschluss; der Angeklagte wird sich mit diesem Urteil nicht abfinden und Rechtsmittel einlegen.   


Mittwoch, 14. Februar 2018

Internet, wo bist Du?

technisches Armutszeugnis: Aachener Drogenprozess offline


Seit dem 6. Februar 2018 wird vor der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen eine Anklage gegen eine angebliche Drogenbande, die über das Internet, genauer gesagt, das Darknet, einen ausgedehnten Handel mit Amphetaminen, XTC und ähnlichen Betäubungsmitteln betrieben haben soll, verhandelt. Auch zahlreiche Einzelsachverhalte aus der Anklageschrift knüpfen an Vorgänge aus der Cyberwelt an, beispielsweise die Digitalwährung Bitcoin, über die die Verkäufe  abgewickelt worden sein sollen. So wird dem einzigen Angeklagten, der sich auf freiem Fuße befindet, unter anderem vorgeworfen, ein anonymes Bitcoin-Konto unterhalten zu haben. Dieser Vorwurf ist aber schon durch die Dokumente aus der Ermittlungsakte widerlegt. Bezeichnenderweise ist er einer der ganz wenigen Verdachtsmomente überhaupt, die allesamt so schwach sind, dass das Oberlandesgericht Köln die Untersuchungshaft gegen diesen Mann aufgehoben hat.


Nun wollte er in der Hauptverhandlung vom 14. Februar mittels eines Aufrufes verschiedener anderer Internetkonten dem Gericht demonstrieren, dass auch ein weiterer Punkt, an dem die Staatsanwaltschaft ein vermeintlich strafbares Haar in der Suppe zu finden glaubte, nicht aufrechtzuerhalten ist. Er hätte durch die Präsentation nachweisen können, dass er seit langer Zeit regelmäßig und regulär Gegenstände veräußert, die, anders als die StA behauptet, nichts mit einem irgendwie gearteten Drogenhandel zu tun haben. 

Sein entsprechender Antrag wurde abgelehnt, weil, ja weil sich die Strafkammer am LG Aachen technisch außer Stande sah, im Gerichtssaal einen Internetzugang bereitzustellen. Dass so eine Malaise am Technologiestandort Aachen stattfindet, mag manch ein Beobachter  als verspätete Karnevalsnarretei ansehen. Faktisch ist es aber eine Ignoranz gegenüber den Verteidigungsinteressen eines Angeklagten, dessen Rechte auf diese Weise beschnitten werden. Sie hat gute Chancen als revisionserheblicher Verfahrensfehler in die Rechtsgeschichte einzugehen. Im Jahre 2018 sollten auch Gerichte in der Lage sein, mit der Technik von heute umzugehen.  Dass dem anscheinend nicht so ist, ist ein Armutszeugnis für die Justiz, und zwar eins, das nicht geduldet werden darf.