Der Volksbegriff des Grundgesetzes
Eine kurze Skizze zur Verfassungslage - von RA u. Fachanwalt f. Verwaltungsrecht Dr. Björn Clemens
Am 02.05.2025 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bekanntgegeben, dass die AfD nunmehr als "gesichert rechtsextrem" zu gelten habe. Wichtigster Anknüpfungspunkt ist laut seiner Pressemeldung vom selben Tag wieder einmal der ethnische Volksbegriff. Das muss verfassungsrechtlich eingeordnet werden.
Wer
in Deutschland das Wort Volk benutzt, und das auch noch in politischen
Zusammenhängen, läuft Gefahr, juristische Probleme zu bekommen. Insbesondere
wird die tatsächliche oder unterstellte Forderung, an einem ethnisch homogenen
Volksbegriff als Grundlage der Staatsbürgerschaft festzuhalten, als
verfassungswidriger Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen. Wer solches
offen in sozialen Netzwerken verkündet oder Gruppierungen angehört oder
unterstützt, die entsprechende Forderungen erheben oder denen das nachgesagt
wird, kann auf verschiedenste Weise belangt werden. Die Palette staatlicher
Maßnahmen gegen die Bürger reicht von Waffenverboten über Disziplinarmaßnahmen
gegen Beamte, die Aberkennung des luftsicherheitsrechtlichen
Zuverlässigkeitsstatus bis hin zu Aufenthaltsuntersagungen. Dagegen muss sich
beispielsweise der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner derzeit vor dem VG
Sigmaringen wehren, nachdem er im März 2024 durch die Stadt Potsdam bereits ein
Einreiseverbot für ganz Deutschland erhalten hatte, das das VG Potsdam aber
aufhob.[1] Für politische Parteien
kann eine Einstufung als verfassungsfeindlich existenzbedrohend sein, da sie
gemäß Artikel 21 Absatz 2 GG verpflichtet sind, auch in ihren Zielen der FDGO
zu entsprechen. Falsches Denken kann in einem Verbot enden.[2] Für Vereine gilt das gemäß
Art. 9 GG Abs. 2 GG ebenfalls. Der Compact-Verlag sieht sich dem seit 2024
ausgesetzt, und die AfD wird damit ständig bedroht. Durch den Verfassungsschutz
wurde sie als extremistischer Verdachtsfall eingeordnet, unter anderem wegen
des Festhaltens an dem stigmatisierten Volksbegriff. Zwei Gerichtsinstanzen,
das VG Köln[3]
und das OVG Münster[4]
bestätigten die Einstufung. Im Berufungsurteil heißt es hierzu:[5]
„Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen
jedenfalls eines maßgeblichen Teils der Klägerin entspricht, deutschen
Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten
Status zuzuerkennen, weil zu ihren zentralen politischen Vorstellungen gehört,
dass es eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige „ethnisch-kulturelle“
Volkszugehörigkeit gibt, die von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung der
deutschen Kultur und Identität ist und es deshalb rechtfertigt, bei rechtlichen
Zuordnungen danach zu unterscheiden, ob und gegebenenfalls aus welchem
Kulturraum deutsche Staatsangehörige oder deren Eltern zugewandert sind. Dies
stellt eine nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Diskriminierung
aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1
Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
Dabei steht außer Frage, dass bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinn von
Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ethnischen Zuordnungen keine
exkludierende Bedeutung zukommt. Das Grundgesetz überlässt es dem Gesetzgeber,
Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu regeln. Danach kann der
Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich an das Abstammungsprinzip
oder die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinn von Art. 116 Abs. 1 GG
anknüpfen. Insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer
an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebiets kann er aber auch dem Ziel einer
Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den
dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des
Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in
der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen. Wer die deutsche
Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner
ethnischen Herkunft Teil des Volkes.“
Diese Rechtsprechung führt sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im zweiten NPD-Verbotsverfahren vom 17.01.2017 zurück. Dort liest man unter anderem:
„Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in
der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie
Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht (vgl. Isensee, in: Merten/Papier,
HGRe, Bd. IV, 2011, § 87 Rn. 168). Dem Achtungsanspruch des
Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der
rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG,
Art. 1 Abs. 1 Rn. 120 <Mai 2009>). Mit der Menschenwürde
sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen
nicht vereinbar (vgl. Höfling, a.a.O., Art. 1 Rn. 35)….[6]“
Im
Weiteren stellt es fest, dass ein an ethnischen Kategorien orientierter
Volksbegriff mit der Menschenwürde unvereinbar sei.[7] Die Eindeutigkeit seines
Verdiktes steht im Gegensatz zum Grundgesetz, denn im vom OVG Münster in Bezug
genommenen Art. 116 heißt es in Absatz 1:
„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes
ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher
Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete
des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden
hat.“ [H.d.V.]
Während
das Bundesverfassungsgericht den im Grundgesetz vorhandenen Begriff der
Volkszugehörigkeit für seine Entscheidung schlicht ignoriert[8], verwickelt sich das OVG
Münster in einen bemerkenswerten Selbstwiderspruch. Denn zum einen gesteht es
dem Gesetzgeber ein Wahlrecht (!) zu, bei der Bestimmung des Staatsbürgerrechts
an das Abstammungsprinzip bzw. die deutsche Volkszugehörigkeit oder an
die faktische Gesamtbevölkerung anzuknüpfen. Zum anderen sieht es eine
politische Zielsetzung als verfassungsfeindlich an, die aus
ethnisch-kulturellen Differenzen staatsbürgerrechtliche Folgerungen zieht. Selten hat sich eine Argumentation so
widerlegt wie diese. Denn wenn es das Recht des Gesetzgebers ist, die
Staatszugehörigkeit aus der Volkszugehörigkeit abzuleiten, dann folgt daraus
begriffsnotwendig, dass eine politische Partei, die als gegenwärtiger oder
künftiger Teil des Gesetzgebers fungiert, ebenso berechtigt ist, entsprechende
Forderungen zu erheben und öffentlich zur Debatte zu stellen. Sie kann demnach
nicht verfassungsfeindlich sein. In seiner argumentativen Inkonsequenz hat das
Gericht mit erfreulicher, aber womöglich nicht bedachter, Deutlichkeit
ausgesprochen, dass Volkszugehörigkeit und Staatsbürgerschaft nicht
gleichzusetzen sind. Daher soll im folgenden versucht werden, die Begriffe zu
ordnen.
Volk im Staatsorganisationsrecht
Im
Grundgesetz taucht der Volksbegriff an unterschiedlichen Orten auf. In der
Präambel wird konstatiert, dass es, das GG, nunmehr, nach der Vereinigung West-
und Mitteldeutschlands für das gesamte Deutsche Volk gelte. In Art. 1 Absatz 2
bekennt sich dieses Volk zu den „unverletzlichen“ und „unveräußerlichen“
Menschenrechten. Schließlich erscheint es in der organisatorischen
Fundamentalnorm des Art. 20 Absatz 2:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke
aus.“
Damit
wird „das“ Volk zum staatlichen Souverän erklärt, was gemäß Art. 79 Absatz 3 GG
als unabänderlich gilt. Nicht einmal ein einstimmiger Beschluss des Bundestages
könnte die Volkssouveränität aufheben. Als Souverän wird „Volk“ zum
Zentralbegriff der gesamten Verfassungsordnung. Durch die Kuppelung Volk gleich
Staatsgewalt wird Volk als Träger, und zwar als alleiniger, staatlicher Rechte
definiert. Daraus folgt, dass Volk insoweit als Gesamtheit der Staatsbürger zu
verstehen ist, denn Rechte im Staat kann nur ausüben, wer Teil des Staates ist,
und wenn das Volk die höchsten Rechte besitzt, kann insoweit nur das Staatsvolk
gemeint sein. Das wird durch diejenigen vorangehenden Grundrechte bestätigt, in
denen sich der Begriff „Deutsche“ findet, denen das entsprechende Recht
vorbehalten ist, zum Beispiel die Versammlungsfreiheit. Im Gegensatz dazu kennt
das Grundgesetz auch Jedermannsrechte wie die Meinungsfreiheit. Auch eine
solche Differenzierung ergibt nur einen Sinn, wenn man als „Deutsche“ die
Inhaber der Staatsbürgerschaft versteht, da Staatsbürger in Konsequenz des eben
genannten Artikels 20 alle Rechte haben, demnach auch alle Grundrechte, was für
bloße Bewohner nicht gilt. Nach der von Georg Jellinek[9] begründeten
Drei-Elemente-Lehre setzt sich der Staat aus Staatsvolk, verstanden als
Staatsbürger, Staatsgebiet und Staatsgewalt zusammen. Mit all dem ist aber nur
eine funktionale Rechtsstellung beschrieben. Wer Teil dieses Volkes ist, wer
also Staatsbürger werden kann, ist damit nicht gesagt.
Volk als soziologischer Begriff
Dazu
bringt der zuvor genannte Art. 116 Aufschluss. Seine bemerkenswerte
Formulierung knüpft an die klassische Auffassung vom Volk, die wahrscheinlich
jeder intuitiv im Sinn hat, wenn der Begriff aufkommt. Der Historiker Friedrich
Meinecke formulierte es wie folgt:
„„Gemeinsamer Wohnsitz, gemeinsame Abstammung – oder
genauer gesagt, da es keine im anthropologischen Sinne rassenreinen Nationen
gibt –, gemeinsam oder ähnliche Blutmischung, gemeinsame Sprache, gemeinsames
geistiges Leben, gemeinsamer Staatsverband oder Föderation mehrerer
gleichartiger Staaten – alles das können wichtige und wesentliche Merkmale
einer Nation sein.“[10]
Ähnliches
kann man erstaunlicherweise auch in einem Lehrbuch des nachmaligen
Bundespräsidenten Roman Herzog[11] lesen, und wenn der
berühmte Staatsrechtler der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts Carl
Schmitt den Staat die politische Einheit eines Volkes nennt[12], ist damit ausgedrückt,
dass sich der Staat vom Volk ableitet, und nicht umgekehrt. Schmitt ist es denn
auch, der knapp aber klar feststellt, dass es ein Volk vor der
Verfassung gibt, also, dass erst das Volk besteht, das sich einen Staat
konstituiert. Das verlangt aber
denknotwendig eine soziologische Eigenheit. Die Staatsbürgerschaft kann nach
diesem Verständnis nicht der konstituierende Begriff sein. Das wird durch eine
Überlegung aus dem Völkerrecht gestützt. Während des Ersten Weltkrieges
brachten die damaligen Entente-Mächte den Begriff des Selbstbestimmungsrechts
der Völker auf. Das taten sie selbstverständlich nicht, um eine gerechtere
Weltordnung zu errichten, sondern als Propaganda-Parole, um Österreich-Ungarn,
den Verbündeten des Deutschen Reichs, zu zersetzen. Denn die
Habsburgermonarchie galt als Vielvölkerstaat, der dadurch gekennzeichnet ist,
dass unter einer Staatsbürgerschaft zahlreiche „Völker“ zu Staatsbürgern
zusammengefasst sind.[13] Im Falle
Österreich-Ungarns wäre es demnach unsinnig gewesen, zu sagen, es bestehe neben
Serben, Kroaten, Tschechen, Slowenen, Ungarn usw. auch aus Österreichern.
Österreicher waren sie alle. Die entsprechende Volkskategorie war insofern die
der Deutschen, die ihrem nach dem Krieg verbliebenen Rumpfstaat im ersten
Staatsgrundgesetz von 1918 den Namen „Deutsch-Österreich“ gaben und den
Anschluss an das Deutsche Reich forderten. Auch die Deutschen in der neu
geschaffenen Tschechoslowakei bekannten sich als eben das: (Sudeten-) Deutsche,
und nicht etwa als Österreicher oder Böhmen. All das verdeutlicht, dass Volk
etwas kategorial anderes ist als Staatsbürger.
Das
aber leugnen die Vertreter der Gegenwartslehre. Sie meinen, aus dem ersten
Halbsatz des Artikels 116 „Deutscher ist, wer die deutsche Staatsbürgerschaft
besitzt“, folgern zu können, dass sich das Volk an sich (und ausschließlich)
von den Bürgerechten ableite und es daher dem Gesetzgeber freistehe, nach
Belieben den Kreis der Volksangehörigen zu erweitern (nicht aber zu verringern,
denn dagegen spreche die Menschenwürde, siehe oben). Die Änderung des
Staatsbürgerschaftsrechts bewirkt also die Veränderung des Volkes und somit des
Souveräns selbst. Genau das geschah erstmals im Jahre 1999, als das bis dahin
geltende Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz durch das
Staatsangehörigkeitsgesetz abgelöst wurde. Damit wurde das Abstammungsprinzip
durch das Bodenprinzip ersetzt. Deutscher ist nun, wer in der Bundesrepublik
geboren wird, egal woher seine Vorfahren kommen. Seitdem wurde das Gesetz immer
wieder verändert, im Propagandasprech der Verantwortlichen „modernisiert, um
die Möglichkeiten zur Einbürgerung umfassend zu erweitern. Jüngst geschah das
2024, um einen neuen Überfremdungsschub herbeizuführen. Über die ständige
Reform des Staatsbürgerrechtes die Änderung bzw. partielle Ersetzung des
Souveräns zu erwirken, ist aber faktisch nichts anderes, als ein staatspolitischer
Umsturz, der das Prinzip der Volkssouveränität auf kaltem Wege außer Kraft
setzt.
Darüber
hinaus steht einem solchen Vorgehen Art. 79 Absatz 3 GG entgegen, wonach die in
Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze „Ewigkeitswert“ genießen, nicht, auch
nicht einstimmig geändert werden können. Das mindeste, was bei einer
Entscheidung solcher Tragweite zu verlangen wäre, wäre, dass der Souverän dazu
befragt würde, also eine Volksabstimmung der bisherigen Staatsbürger
stattfände. Richtigerweise hielten zwei der führenden deutschen Staatsrechtler,
die Professoren Hans-Jürgen Isensee und Rupert Scholz, den Anschlag auf das bis
dahin geltende Recht im Jahre 1999 für unzulässig. Isensee sprach sogar von
einem Staatsstreich durch das Parlament.[14] Mit ihrer Kritik blieben
die beiden Juristen ungehört. Aber in der Sache hatten sie den Nagel auf den
Kopf getroffen. Das bedeutet, dass nahezu jede Einbürgerung und Verleihung der
Staatsbürgerschaft an Fremde seit 1999 verfassungswidrig war bzw. ist, und zwar
in einer Offensichtlichkeit, dass man sie für nichtig halten könnte.
Das Wahrungsgebot
Ein
abschließender Blick auf eine der wenigen verfassungsgerichtlichen
Entscheidungen zum Volksbegriff unterstreicht die vorgenannten Überlegungen. Es
handelt sich um den Teso-Beschluss vom 21. Oktober 1987.[15] Dem lag die Frage
zugrunde, ob ein in der DDR aufgewachsener Bürger, der über seine Mutter (auch)
die italienische Staatsbürgerschaft besaß, nach der Übersiedlung in die
Bundesrepublik „Deutscher“ im Sinne des Art. 116 GG sei. Im Schwerpunkt ging es
um das Verhältnis der Staatsbürgerschaft der DDR zu der der Bundesrepublik,
bzw. um die Frage einer einheitlichen Staatsbürgerschaft, unabhängig von dem
Bestehen zweier deutscher Staaten. Bekanntlich vertrat die alte BRD bis zuletzt
den Standpunkt der einheitlichen (deutschen) Bürgerschaft, weshalb
DDR-Flüchtlinge in der Bundesrepublik nicht eingebürgert wurden, sondern
automatisch als Deutsche und damit als bundesdeutsche Staatsbürger galten. Aus
dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes leitete das Bundesverfassungsgericht
daher ein Wahrungsgebot bezüglich der Staatsangehörigkeit ab. Der erste
Leitsatz des Beschlusses lautet:
„Aus dem Gebot der Wahrung der Einheit der deutschen
Staatsangehörigkeit (Art. 116 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 GG), das eine normative
Konkretisierung des im Grundgesetz enthaltenen Wiedervereinigungsgebots ist,
folgt, dass dem Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen
Republik für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen
des ordre public die Rechtswirkung des Erwerbs der deutschen
Staatsangehörigkeit beizumessen ist.“
In der Begründung
führt das Gericht sodann aus:
„Aus dem Wahrungsgebot folgt insbesondere die
verfassungsrechtliche Pflicht, die Identität des deutschen Staatsvolkes zu
erhalten. Diese Pflicht ist nicht statisch auf den Kreis derjenigen Personen
begrenzt, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes deutsche Staatsangehörige
waren, und auf jene, die später zufolge des Reichs- und
Staatsangehörigkeitsgesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben
und noch erwerben werden.“
…
„Die im Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes enthaltene
Wahrungspflicht gebietet es auch, die Einheit des deutschen Volkes als des
Trägers des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit
zukunftsgerichtet auf Dauer zu bewahren.“
Die Verfechter der
multikulturellen Auflösung behaupten nun, dass aus der Anknüpfung der
Entscheidung an das Staatsbürgerrecht (und nicht an das Volkstum) dem
Abstammungsprinzip vom Gericht eine Absage erteilt worden sei.[16]
Aber das ist ein Denkfehler. Denn das Gericht verlangt, die Identität des
Staatsvolkes in der Form zu erhalten, wie es sie durch das RuStG von 1913
seinerzeit besaß. Wenn also von einer Identität in Bezug auf das
Staatsbürgerrecht gesprochen wird, dann ist damit eine Identität auf das in dem
damaligen Staatsbürgerrecht festgeschriebene Abstammungsprinzip inbegriffen.
Ein anderes Urteil[17]
gesteht allerdings dem Gesetzgeber zu, über das Staatsbürgerrecht die
Zusammensetzung des Staatsvolkes zu ändern. Es setzt sich jedoch nicht mit den
grundlegenden Fragen von Abstammungsvolk und Staatsvolk auseinander und denkt
auch eher an erleichterte Einbürgerungen als an eine komplette Revision der
Staatsbürgerschaft. Dabei ist anzumerken, dass noch nie, auch im Kaiserreich
die Staatsbürgerschaft einem monolithischen, völkischen Block entsprach.
Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen,
sie in Maßen unabhängig von der Ethnie zu vergeben, es sei denn, damit
soll der große Austausch zulasten der autochthonen Bevölkerung juristisch
abgesichert werden.
Fazit:
Das heißt, dass vom
ursprünglichen deutschen, auch bundesdeutschen, Staatsbürgerrecht der ethnische
Volkstumsbegriff vorausgesetzt und dieser in jenem enthalten ist. Seine
Abschaffung über die einfachgesetzliche Änderung der Staatsbürgerschaft im
Jahre 1999 war ein verfassungswidriger, rechtstechnischer Taschenspieletrick,
der die Stellung des Staatsvolkes im Verfassungsgefüge ignorierte.
Wenn man der hier vertretenen Auffassung folgt, ergibt sich eine interessante politische Konsequenz: Parteien wie die AfD oder Gruppen wie die IB oder andere sind es nämlich dann, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Die Faesers, Haldenwangs und wie sie heißen, sind es hingegen nicht.
[1]
Klage gegen das Aufenthaltsverbot: VG Karlsruhe 9 K 4719/24, zum Einreiseverbot
von Potsdam siehe: legal tribune
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/martin-sellner-einreiseverbot-aufgehoben-vg-potsdam.
[2]
Umfassend zur Thematik eines ideologisch begründeten Parteiverbots:
Schüßlburner, Demokratie-Sonderweg Bundesrepublik, Königstein 2004.
[3]
VG Köln Urteil 13 K 326/21 vom 08.03.2021
[4]
OVG Münster Urteil 5 A 1218/22 vom 13.05.2024. Die urteile sind bei Eingabe der
Aktenzeichen leicht im Netz zu finden. Auch im Falle von Compact bildet der
völkische Volksbegriff einen Schwerpunkt der Vorwürfe.
[5]
Randnummern 206 und 207.
[6]
Rn. 541.
[7]
Rnrn. 688 bis 691.
[8]
Grundlegende Kritik an dem Urteil bei Thor v. Waldstein, Wer schützt die
Verfassung vor Karlsruhe, 2017.
[9]
Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage, 1928, S. 394ff.
[10]
Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 2. Aufl., München und Berlin, 1911, S. 1.
[11]
Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a.M., 1971, S. 43.
[12]
Verfassungslehre, 8. Aufl., 1993, S. 3. Im Begriff des Politischen, erste Seite
des Haupttextes, nennt er den Staat den Status (zustand) des in territorialer
Geschlossenheit organisierten Volkes.
[13]
Das erfährt der Leser sogar bei Wikipedia, Stichwort Vielvölkerstaat.
[14]
Scholz/Uhle, NJW 1999, 1510ff; Isensee, Die Welt (sic!), 06.01.1999.
[15]
BVerfGE 77, 137.
[16]
So die Frankfurter Rundschau in gewohnt pseudoironisch-herablassenden Stil am
07.01.2019, https://www.fr.de/politik/angeblicher-verfassungsauftrag-11024520.html.
[17]
BVerfGE 83, 37 vom 31.10.1990..